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Balkan Melodie

Dokumentarischer Blick in den musikalischen Osten

Der Schweizer Regisseur Stefan Schwietert hat ein besonderes Händchen für filmische Hymnen an außergewöhnliche Musiker. Schon in Filmen wie EL ACORDEÓN DEL DIABLO oder HEIMATKLÄNGE porträtierte er Menschen, die ihre Seele ganz Rhythmus und Melodie verschrieben haben. Daß er dabei seinen Protagonisten immer sehr nahe kam, liegt sicher daran, daß er ihre unbedingte Leidenschaft für die Musik teilt – auch wenn er sie auf einer anderen Ebene auslebt. Auch in seiner neuesten Arbeit BALKAN MELODIE setzt er Menschen und ihre Leidenschaften ins Bild; Leidenschaften, die in diesem Fall dafür gesorgt haben, daß Balkan Beats heute in New York genauso hip sind wie in Berlin.

Im Zentrum der Erzählung steht Marcel Cellier, ein Schweizer Kaufmann und begeisterter Hobbymusiker, der seit den 50er Jahren ausgerüstet mit Aufnahmegerät und Fotoapparat immer wieder in den Balkan gereist ist. Auf diese Weise brachte er über 5000 Aufnahmen mit teils völlig ungewohnten Klängen mit auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs. Doch Cellier war nicht nur ein manischer Sammler, sondern auch ein Kaufmann mit einem nicht zu unterschätzenden Sendungsbewußtsein. Er veröffentlichte die unzähligen Mitschnitte, die er bei Familienfeiern, spontanen Jam-Sessions oder Konzerten aufgenommen hatte, und machte auf diese Weise Musiker wie den Panflötisten Gheorge Zamfir oder den bulgarischen Frauenchor „Le Mystère des Voix Bulgares“ weltberühmt.

Nicht alle der „Entdeckten“ sind ihm dafür allerdings heute noch dankbar. Vor allem Zamfir ereifert sich darüber, daß Cellier sich ohne ausreichende Gegenleistung am musikalischen Reservoir des Ostens bedient hat. Tatsächlich ist die Jäger- und Sammlermentalität Celliers alles andere als unproblematisch – er selbst, der inzwischen fast 90 Jahre alt ist, will davon allerdings nichts wissen, und Schwietert beläßt es beim vorsichtigen Nachfragen und der Kontrastmontage von Celliers und Zamfirs verschiedenen Varianten der gemeinsamen Geschichte.

Diese Zurückhaltung mag dem Grandmonsieur Cellier gegenüber höflich sein, doch man wird in diesen durchaus sehenswerten 90 Minuten das Gefühl nicht los, daß hier ein Minenfeld links liegen gelassen wird, dessen archäologische Erkundung spannende Ergebnisse zeitigen könnte. Schließlich ist die Frage nach dem Verhältnis von Urhebern, Verlegern und Copyrights heute unverändert aktuell – in Bukarest genauso wie in Berlin oder Bangalore.

CH/D/Bulgarien 2011, 92 min
FSK 0
Verleih: Ventura

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Stefan Schwietert

Kinostart: 28.03.13

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.