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Balzac und die kleine chinesische Schneiderin

Lieben, Lesen und Erziehen

Zwei verknallte Jungs und ein hübsches Mädchen. Jene geradezu klassische Konstellation findet sich auch in Dai Sijies Adaption seines eigenen Romans. Angelehnt an die Jugend des Regisseurs im China der Kulturrevolution, wurde das Buch weltweit ein Bestseller, und diese ebenso leicht erzählte Verfilmung schickt sich an, es ihm gleich zu tun. In ein Bergdorf am Phönix-des-Himmels verfrachtet, um sich ihre bürgerliche Herkunft weg-erziehen zu lassen, müssen Ma und sein Freund Luo ihre paar mitgebrachten Kulturgüter gleich nach der Ankunft mutig verteidigen: ein Kochbuch sowie ein seltsames Gerät namens Geige, auf der Ma ein Stück spielt, das angeblich dem Großen Vorsitzenden Mao gewidmet ist und verdächtig nach Mozart klingt.

Einziger aber auch süßer Trost in den bevorstehenden Jahren harter Arbeit sind die Bekanntschaft mit der anmutigen Tochter des Schneiders, ein geklauter Koffer voller verbotener Literatur und die Entdeckung eines ungeahnten Talents. Im Auftrag der Dorfgemeinschaft besuchen die beiden in der nächsten Stadt das Kino und erzählen das Gesehene bei ihrer Rückkehr nach. Auch das Mädchen ist entzückt, vor allem von Luo. Mit den Geschichten der Weltliteratur starten die Jungen ein ganz eigenes Umerziehungsprogramm mit ihrer lieblichen, ländlichen Emma Bovary.

Wie schon in der Romanvorlage liegen Dai Sijies Stärken vor allem in den anekdotischen Schilderungen kleinerer und größerer Schelmenstreiche gegen das bäuerliche Establishment: mit dem einzigen Wecker der Gegend kann man dem Arbeitstag unbemerkt ein paar Stunden stehlen, mit einem improvisierten und brachialen zahnärztlichen Eingriff erhält der Dorfvorsteher die Strafe für seine Biestigkeit. Der versöhnliche Ton einer sehr diskreten Anarchie liegt unter kuriosen Bildern des kauzigen Schneiders in seiner Sänfte. Ansonsten droht jedoch die schön gefilmte Gegend, den Menschen die Hauptrolle abspenstig zu machen. Etwas blaß bleiben die Liebe und die Kulturrevolution vor dem Massiv einer sehnsuchtsvollen Erinnerungslandschaft.

Originaltitel: BALZAC ET LA PETITE TAILLEUSE CHINOISE

F 2002, 116 min
Verleih: Schwarz-Weiss

Genre: Literaturverfilmung, Liebe, Poesie

Darsteller: Chen Kun, Liu Ye, Zhou Xun

Stab:
Regie: Dai Sijie
Drehbuch: Dai Sijie

Kinostart: 25.12.03

[ Sylvia Görke ]