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Before Midnight

Liebe ist Arbeit

Es ist schon klagenswürdig. Der Zahn der Zeit, dieser unerbittliche Beißer, nagt leider so ziemlich an allem. Und es ist auch wundervoll. Weil dieser ignorante Hauer knabbern mag, wie er nur kann, um schließlich eben doch nicht alles kleinzukriegen. Die Romantik nämlich nicht – wenn man sich müht! Und darum geht es vor allem im neuen Kapitel von Jesse und Celeste, die sich und wir vor knapp 20 Jahren im schönen Wien kennenlernten, die sich und denen wir knapp zehn Jahre später beim Einlösen eines kühnen Versprechens in Paris wiederbegegneten, und die nun sich und uns unter griechischer Sonne im Rahmen eines Familienurlaubs den Kerkelingschen Beweis liefern: Liebe ist Arbeit. Das klingt erst einmal anstrengender, als sich der Film gibt, zumindest zu Beginn ist alles, wie wir es erinnern: Die beiden nun 40pluser liefern sich auf der Autofahrt vom Flughafen, an den Jesse seinen Sohn aus erster Ehe gebracht hat, derart herrliche, absurde, frivole, witzige und lebenskluge Wortgefechte, daß einem schwindeln kann. Auf der Rückbank die schlafenden Zwillinge: „Sollten wir sie nicht wecken wegen der Ruinen-Besichtigung?“ Sie entscheiden sich gegen den Streß und attestieren einander, beschissene Eltern zu sein. Dabei machen sie ihre Sache wirklich gut, bis zu dem Tag, an dem sie – ohne Anhang, ohne Kinderfußgetrampel – endlich mal ganz allein sind. Weil ihre griechischen Freunde es für eine tolle Idee hielten, die Zwei in einem Sternehotel zwischenzulagern. Das Raumlicht läßt sich dimmen, das Bad ist vom Feinsten, der Rotweinkorken ploppt, die Laken sind frisch – eine auf den ersten Blick nicht so gute Vorlage für einen Mordsstreit. Doch Jesse und Celeste kriegen den hin ...

Es ist eine gute Entscheidung, daß Richard Linklater und seine beiden mitschreibenden Hauptdarsteller dem in der schnöden Ebene des Alltags angekommenen Paar genau an dem so sorgenfreien Tummelplatz eines Luxushotels in die Beine grätschen. Die Erkenntnisse, daß Männer und Frauen oft ganz anders ticken, daß Frauen ihre Männer gewinnen lassen müssen, damit diese stolz ihr Alphapfützchen machen können, daß Männer wiederum mit einem Gezänk eher aufhören können, während Frauen nicht selten mit einer Impertinenz auf Ursachensuche gehen, wer eigentlich angefangen hat zu frötzeln – diese Erkenntnisse sind locker-luftig inszeniert, manchmal lugt Woody Allen ums Eck. Es ist einfach schön, wieder dabei zu sein – beim Parlieren der Zwei en passant.

Und trotzdem spürt man bald, daß Jesse und Celeste nicht von dem verschont bleiben sollen, was es zu hinterfragen gilt, wenn man eine Beziehung halten möchte: Welche individuellen Ansprüche hat jeder Einzelne, ohne immer alles in den partnerschaftlichen Kontext zu stellen? Das ist vielleicht die wichtigste Selbstbeleuchtung des Films. Denn es ist doch so, daß sich ein Mensch, ein eigenständiger, ein charaktervoller, trotz aller Empathie und Hingabe nicht komplett auflösen sollte in einer Beziehung. Dann lösen sich nämlich auch genau die Gründe auf, die denjenigen für den anderen einst so attraktiv machten.

Da Linklater gottlob aber an keiner Kummerkastentantenstunde gelegen ist, bliebt hier nix theoretisch, es kracht in echt, Türen fliegen, Tränen schießen, und am Ende weiß man einmal mehr, wie toll es ist, um einen Menschen zu kämpfen, dessen rötliche Barthaare längst grauen gewichen sind, dessen Haare dünner und Hintern breiter geworden sind, und bei dem man eben noch immer das ausmacht, was das Elixier eines Bundes ist: die Romantik.

Originaltitel: BEFORE MIDNIGHT

USA/Griechenland 2013, 108 min
FSK 6
Verleih: Prokino

Genre: Tragikomödie, Liebe

Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy

Regie: Richard Linklater

Kinostart: 06.06.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.