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Being And Becoming

Plädoyer für Lernen ohne Schule

Die Schulpflicht in Deutschland ist seit Jahren immer mal wieder ein Zankapfel. Die meisten anderen europäischen Länder kennen nur eine Bildungspflicht. Das heißt: Eltern können ihre Kinder – in der Regel unter bestimmten Auflagen und Kontrollen – auch zu Hause unterrichten. Es ist jedoch in allen Ländern nur eine kleine Minderheit, die von diesem Recht Gebrauch macht. Doch wie fühlt es sich an, ein Leben ohne Schule? Ohne vorgeschriebene Zeit- und Stundenpläne, ohne Hausaufgaben und Klausuren, ohne die Angst durchzufallen? Einfach phantastisch, so zeigt es zumindest der Dokumentarfilm BEING AND BECOMING der französischen Filmemacherin, Schauspielerin und Sängerin Clara Bellar.

Die Geburt ihres ersten Kindes war für Bellar der Ausgangspunkt, sich intensiv dieser Frage zu widmen. Sie besuchte zahlreiche Familien in den USA, Frankreich und Großbritannien, die ihre Kinder selbstbestimmt lernen lassen. Deren Credo ist: Kinder wollen von sich aus lernen, man muß sie nicht zwingen, stattdessen sollte man sie begleiten und es ihnen ermöglichen, vielfältige Erfahrungen zu machen. Ausnahmslos alle Befragten berichten von überaus positiven Erfahrungen. Der Film zeigt schöne, fröhliche, gesunde und kreative Kinder mit sehr reflektierten und engagierten Eltern, die dazu noch meist sehr idyllisch wohnen.

Von den sozio-ökonomischen Bedingungen, die ein solches, zweifelsohne privilegiertes, Leben ermöglichen, erfahren die Zuschauer leider nichts. Auch kaum etwas über Schwierigkeiten und Schattenseiten, die damit einhergehen mögen. BEING AND BECOMING suggeriert, daß ein glückliches Kinderleben nur außerhalb der Schule möglich sei, und die Kinder auf diese Weise zu außergewöhnlichen Individuen werden, die später auch in der „normalen“ Welt erfolgreich bestehen. Mozart hätte schließlich ebenfalls nie eine Schule besucht, erzählt eine der porträtierten Mütter.

Bellar ist augenscheinlich derart fasziniert von ihrem Thema, daß ihr jegliche kritische Distanz abhanden kommt. Daher ist ihr Film zwar ein leidenschaftliches und nett anzusehendes, aber nur wenig informatives Plädoyer für das außerschulische Lernen. Es ist sicher notwendig, das System Schule und die hierzulande geltende Schulpflicht zu hinterfragen. Doch gibt es nicht nur einen einzigen Weg zum (Bildungs-)Ziel, und es ist wenig sinnvoll, das Schuldogma gegen das Freilerndogma auszutauschen. Liebe, Aufmerksamkeit und Zeit brauchen alle Kinder von ihren Eltern, egal, was, wie und wo sie lernen.

F 2013, 99 min
FSK 0
Verleih: Pourquoi Pas

Genre: Dokumentation

Regie: Clara Bellar

Kinostart: 19.03.15

[ Dörthe Gromes ]