Originaltitel: WHERE’D YOU GO, BERNADETTE

USA 2019, 111 min
FSK 6
Verleih: Universum

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Cate Blanchett, Billy Crudup, Kristen Wiig

Regie: Richard Linklater

Kinostart: 21.11.19

9 Bewertungen

Bernadette

Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs

Hand aufs Herz, man muß sie verstehen. Sie haßt es bisweilen, von Menschen umlagert zu sein, im Flugzeug zum Beispiel, mindestens 150 Personen in einem Kasten, es kann doch nur zum Fürchten sein. Und es ist beileibe nicht der einzige Tick dieser von Ticks geradezu heimgesuchten Frau, die man jedoch schnell, nicht nur, aber auch der kleinen Meise wegen, ins Herz zu schließen beginnt: Bernadette.

Sie ist rastlos, redet zu schnell, schläft zu wenig, Mittelchen, das zu ändern, verweigert sie sich, sie erschrickt schon, wenn sie nur jemand anspricht, und als Architektin geriet sie irgendwann komplett aufs Abstellgleis. Übrig blieb eine Künstlerin mit eingeschränkten Austobmöglichkeiten mitten in einer piefigen Wohnsiedlung. Bernadette ist zwischenmenschlich überfordert und vernachlässigt zugleich und immerzu voller Ängste. Als ihre liebevolle Tochter sich eine gemeinsame Fahrt zur Antarktis wünscht, fährt es Bernadette durch Mark und Bein. All die bekannten Geschichten über die Drake-Passage treiben die Frau schließlich in die Apotheke. In der Hand ein Rezept über Haloperidol – eigentlich das perfekte Mittel für Bernadette, damit haben im Kalten Krieg die Russen Gefangene gefügig gemacht. Auf der Flucht vor der Spießbürgerlichkeit ihrer Cupcake-Nachbarschaft, dem in Zweifel geratenen Gatten und eigenartigen Ermittlern geht eine Reise zum auch nicht mehr so ewigen Eis dann doch vonstatten. Selbstredend komplett anders als gedacht ...

Es gehört schon Geschick dazu, eine Geschichte von zwischenmenschlicher Überforderung, sozialer Unangepaßtheit und psychischem Verglühen so zu erzählen, daß sie komisch und dennoch anrührend ist, wild, aber nicht überzogen, abgefahren und trotzdem glaubwürdig. Richard Linklater verfügt über reichlich davon, er zeichnet klar und dabei vielfach lesbar das Porträt eines Solitärs, der an der Banalität des Lebens leidet, auch, weil Bernadette ihrer Bestimmung nicht nachkommen kann – sich künstlerisch auszudrücken. Da wird eine markante Wesensbestimmung durch äußerliche und auch selbst verursachte Umstände vergraben, dabei ist doch unverkennbar: Diese Bernadette ist auf der Welt, um etwas zu erschaffen. Davon gibt es nicht so viele Menschen im Strom moderner Gleichförmigkeit. Um wie Bernadette überhaupt so lange über die Runden zu kommen, nach auch künstlerischen Traumata, gehört eine gehörige Portion Leidensfähigkeit, und wenn dann der Putz mal bröckelt oder man einfach keine Lust mehr auf Fassadenschick mehr hat, wird man schnell für verrückt erklärt.

Linklater glückt ein wirklich witziger und dabei auch ernsthafter Blick auf die Verlogenheit unserer Gesellschaft, die für Angstzustände und Anpassungsschwierigkeiten oft nur einen einzigen Ort kennt: die Klapse. Der Rhythmus des Films ist passenderweise ein ungewöhnlicher, es geht eben nicht mit bravem Strophenreim, dieses Aufblättern eines in die Schräge geratenen Lebens, dieses Eintauchen in profunde Sehnsüchte und Bedürfnisse.Zu den berührendsten Szenen gehören die zwischen Bernadette und ihrer Tochter Bee, die Mama genau deswegen so liebt, weil sie ist, wie sie ist.

Naturgemäß braucht man über Cate Blanchett nicht viel schreiben, aber dennoch: Wie sie das Freakige, das Fragile und dieses über sich Hinausragende ihrer Figur spielt, ist zu Herzen gehend, in der ihr eigenen Ambivalenz geradezu meisterlich. Eine hochgezogene Braue genügt Blanchett, um Befürchtungen glaubhaft zu untermalen, wie jene, daß die Drake-Passage nämlich noch viel schlimmer ist als gedacht ...

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.