Originaltitel: LE LIVRE D’IMAGE

CH/F 2018, 85 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm

Genre: Experimentalfilm, Episodenfilm

Regie: Jean-Luc Godard

Kinostart: 04.04.19

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Bildbuch

Godards Schule des Sehens und Hörens

Auf der Berlinale konnte man wieder beobachten, wie gedankenlos in Dokumentarfilmen zuweilen mit Archiv-Material umgegangen wird. Oft erscheint es als reines Belegmaterial. Sagt jemand „Schuh“, sehen wir einen Schuh. Jean-Luc Godard spricht von der „Gewalt der Repräsentation gegenüber dem Repräsentierten“, einer Art medialen Kolonialismus’, den wir schon die ganze Filmgeschichte hindurch betreiben. Als Gegenmittel bietet uns der Filmemacher-Philosoph seit 60 Jahren seine Schule des Sehen- und Hörenlernens an, die eine durch und durch poetische ist. Mit Ende 80 legt er noch einmal einen funkensprühenden Scheit ins Feuer. Jetzt ist er beim reinen Archiv-Film angekommen, einem Essay-Film, der nicht zufällig mit dem Kapitel „Archiv und Moral“ beginnt.

Die Bilder tauchen aus der Vergangenheit der Filmgeschichte und anderer Kulturarchive vor uns auf und versprühen. Was sie bedeuten, wissen wir nicht. Oft erkennen wir sie nicht einmal, weil Godard, der technologisch schon immer mit der Zeit ging, sie digital verfremdet und auf verstörende Weise ästhetisch überhöht hat. Godard hat nie Geschichten erzählt, sondern vielmehr Geschichten unterbrochen. Das Fragment ist definitiv das Ideal des Brecht-Verehrers. Die Logik der Bilder läßt an Algorithmen denken. Was sie verbindet, ist die Stimme, oft Godards eigene, vom Alter geprägte Stimme, die in ihrer Brüchigkeit berührt.

„Als wir jung waren“, sagt die Stimme, „hegten wir große Hoffnungen.“ Heute umgeben uns noch immer dieselben Bilder von Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, repräsentieren die Menschheitsgeschichte. Und noch immer haben wir nicht herausgefunden, wer wir sind. „Keiner träumt mehr davon, Faust zu sein, alle träumen von der Krone.“ Wir, das ist bei Godard insbesondere die westliche Welt, verharren in der Deutungshoheit, etwa über die sogenannte arabische Welt, der das längste Kapitel gewidmet ist, gerade weil wir sie nicht sehen können. Die Bilder haben uns den Blick verklebt.

Godard berichtet aber auch von der Notwendigkeit der Kunst, die erst nach dem Ableben ihrer jeweiligen Epoche dazu wird, als ihr einzig gültiger Referenzpunkt. So wird sein Film auch zur Exegese seines eigenen Werkes. Wie immer möchte man ständig zum Notizblock greifen, um ein paar Weisheiten für die Ewigkeit zu retten. Da erwischt es einen schon wieder auf dem falschen Fuß: „Nichts ist handlicher als ein Text.“ Das Schlußwort?

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...