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Carpatia

Im Zeitraffer durch den Rausch der Sinne

Wer kennt das nicht: Ein lieber oder sich zumindest dazu verpflichtet fühlender Mensch hat aus dem Urlaub per Post Grüße geschickt. Man hält also die Ansichtskarte in der Hand, schaut auf ein tolles Motiv aus der bereisten Gegend und beneidet den Absender sogar ein wenig. Dieser unmoralische Anfall geht allerdings gleich wieder vorbei, sobald man auf der Rückseite bloß wichtige Informationen hinsichtlich super Wetters und klasse Essens liest – das kann man schließlich irgendwie auch zu Hause haben.

Hier kommt nun das cineastische Äquivalent einer solchen Karte. Bis heute sind die Karpaten weitgehend unentdecktes Land, quasi Terra incognita. Zwei Filmemacher wollten daran etwas ändern und machten sich von Wien über Polen und die Ukraine bis hin nach Rumänien auf den Weg, um dem weißen Fleck im Atlas etwas Farbe zu verleihen. Was ihnen rein geographisch tatsächlich auf beeindruckende Art und Weise gelang – ihr Werk ist ein Fest der visuellen Brillanz, mit verzaubernden Aufnahmen, wie sie selten zu sehen gewesen sein dürften.

Unglaublicherweise tritt dabei jedoch gleichzeitig ein Paradoxon auf. CARPATIA bringt es nämlich trotz mehr als zwei Stunden Länge und teils extrem langen Schwelgens in pittoresken Landschaften immer wieder fertig, plötzlich echte Hektik zu entwickeln; leider auf Kosten der besuchten Gebirgs-Bewohner. Da meint beispielsweise eine Frau: "Ich glaube, daß das Glück nicht hier auf Erden zu finden ist." Es folgen kurze Fragen, ob sie jemals verliebt gewesen sei ("Nein") und wo sie begraben werde ("Neben meiner Familie"), das war’s. Wusch! Schon hetzt das Team wieder weg und besucht die nächste Gegend. Nur nicht trödeln! So traumhaft schön die dabei auf Zelluloid gebannte Natur auch sein mag – man kann sich letztlich des Gefühls nicht erwehren, Teilnehmer einer Bildungsreise zu sein, welche möglichst viele Stationen abklappert, eher unwillig nebenbei ein paar Informationen liefert und vorrangig bestrebt ist, hübsch auszuschauen.

Was nimmt man also nach dem Kinobesuch mit? Zweifellos das in Sehnerv und Hirn eingebrannte Wissen um die Magie der Karpaten. Ansonsten bleibt allerdings ratloses Schweigen.

D/Österreich 2004, 127 min
Verleih: Basis

Genre: Dokumentation, Natur

Stab:
Regie: Andrzej Klamt, Ulrich Rydzewski
Drehbuch: Andrzej Klamt, Ulrich Rydzewski

Kinostart: 06.01.05

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...