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Cinemania

Vom Leben in der Illusion

Bevor Bill seine Wohnung verläßt, packt er seine Tasche mit Freßpaketen, Rheumaunterwäsche, Pillen gegen Angstzustände und Schlaftabletten - was er so braucht für den Tag. Er duscht, zieht frische Kleidung an, und dann geht er los, ins Kino. An schlechten Tagen schafft Bill nur zwei Filme, normal sind vier bis fünf, aber es dürfen auch mehr sein, alles ist eine Frage der Organisation - Bill ist dem Kino verfallen.

Angela Christlieb und Stephen Kijak zeichnen das Charakterporträt von insgesamt fünf New Yorkern, die ihr Leben völlig der Obsession Kino unterordnen oder besser, deren Leben das Kino ist. Für einen Beruf oder Begegnungen mit Menschen außerhalb des Kinosaales haben sie keine Zeit, aber auch kein Interesse. Jack, Roberta, Eric, Bill und Harvey verschlingen soviel Kino wie möglich, aber nicht alles. Sie haben differenzierte Geschmäcker und betreiben einen enormen Aufwand bei der Filmauswahl. Tausende von Filmen haben sie gesehen, outen sich als wandelnde Filmlexika, führen Listen und sammeln filmische Devotionalien.

CINEMANIA ist ein Film, der den Blickwinkel verkehrt. Der Zuschauer mag zur Leinwand schauen, die Kamera aber richtet sich auf das schummrige Dunkel der Kinosäle. Dort haben Christlieb und Kijak die fünf Gestalten entdeckt, denen das Kino alles, das Leben draußen aber gar nichts bedeutet. CINEMANIA ist bewußt als Freakshow inszeniert. Jack zum Beispiel erzählt davon, wie er seine Verdauung im Griff hält, um nur nicht aufs Klo zu müssen. Und er erklärt, er träume in Cinemascope, und nur schlechte Nächte müsse er im Videoformat seiner Alpträume verbringen. Neben solche Szenen reihen sich andere, wie z.B. die, in welcher die cholerische Roberta, ob wirtschaftlichen Ruins der Räumung ihrer Wohnung und damit dem Verlust ihrer enormen Sammlung entgegensieht - Obsession, Leidenschaft und Tragik spiegeln sich in den Porträts.

Christlieb und Kijak, die neben die Szenen ihrer Protagonisten Ausschnitte aus Experimentalfilmen über das Leben in New York und Hollywoodklassikern stellen, ist ein filmisch innovatives und eindringliches Dokument von einem Leben in der Illusion gelungen.

D 2002, 80 min
Verleih: GMfilms

Genre: Dokumentation

Darsteller: Jack Angstreich, Eric Chabourne, Roberta Hill, William Heidbreder, Harvey Schwartz

Stab:
Regie: Angela Christlieb, Stephen Kijak
Drehbuch: Angela Christlieb, Stephen Kijak

Kinostart: 17.07.03

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.