Originaltitel: LE SEMEUR

F 2018, 98 min
FSK 12
Verleih: Film Kino Text

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Pauline Burlet, Géraldine Pailhas

Regie: Marine Francen

Kinostart: 10.01.19

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Das Mädchen, das lesen konnte

Unter Schwestern

„Le Semeur“, so der Originaltitel im Französischen, beschreibt auf altmodische Weise jemanden, der sät, das Feld bestellt, steht aber auch im übertragenen Sinne für die Verbreitung des Samens im Sinne der menschlichen Fortpflanzung. Er paßt zum autobiographischen Buch, welches Violette Ailhaud 1919 in hohem Alter geschrieben hatte und Regisseurin Marine Francen als Ausgangsbasis für ihr Drehbuch diente.

Das spielt in der Zeit, als Napoleon durch Putsch an die Macht gekommen war und alle Anhänger der Republik gnadenlos verfolgte. Selbst in einem sehr abgelegenen Bergdorf in der Provence werden alle Männer abgeführt. Nach einer Phase der Apathie und Trauer packen die Frauen ihr Schicksal an und verrichten notgedrungen alle Arbeiten selbst. Die Felder werden bestellt, Dächer repariert und das Vieh versorgt. Nur die Sehnsucht bleibt. Die älteren Frauen vermissen ihre verschollenen Männer, bei den Jüngeren erwacht die Lust. Aber auch ganz pragmatische Überlegungen kommen ins Spiel, denn wie soll das Überleben des Dorfes gesichert werden?

Als mal wieder eine Pause nach getaner Arbeit eingelegt wird, schließen die Frauen im heiratsfähigen Alter einen Pakt: Sollte sich ein Mann in ihr Dorf verirren, werden sie ihn schwesterlich in allen Belangen teilen. Als der Schmied Jean tatsächlich wenig später auftaucht, muß sich zeigen, ob sich dieses Vorhaben wirklich umsetzen läßt.

In geradezu elegisch schönen Bildern läßt Francen ihre Frauen von der friedvollen Zeit des Matriarchats Abschied nehmen. Der hübschen Violette wird die Aufgabe übertragen, Jean zu versorgen, und bald verlieben sich die beiden. Er ist angetan von ihrer Schönheit, aber auch von der Tatsache, daß sie lesen kann und ihn mit Literatur aus den Beständen ihres vermißten Vaters versorgt. Doch die anderen Frauen mahnen ihre Ansprüche an, und Violette fügt sich.

Francen gestaltet keine ihrer Figuren zur modernen feministischen Heldin, vielmehr zeigt sie mit viel Gespür für Details, Gesten und Blicke, wie die Zwietracht im Dorf wächst, Begehrlichkeiten entstehen und Neid ebenso. Triebe und Liebe brechen sich Bahn. Es läßt sich gut diskutieren, ob es eigentlich die romantischen Vorstellungen von zwischenmenschlichen Beziehungen sind, die am Ende die Utopie von einer autarken, solidarischen Frauengemeinschaft zerstören. Post-monogame Zukunftsvisionen scheinen am Horizont auf und verglimmen.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...