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Das merkwürdige Kätzchen

Kino auf den Kopf gestellt

Kennen Sie diese wie aus einem anderen Universum gefallenen Viertelstunden, während derer sich am Wochenende in aller Herrgottsfrühe ausgerechnet vor Ihrem Schlafzimmerfenster die ältlichen Nachbarinnen versammeln, um einander – wegen Hörschwächen fast schreiend – mit horriblen Detailschilderungen der aktuellen Krankheiten zu übertrumpfen? Noch einen Schritt weiter geht nun dieses filmische Experiment.

Samstagmorgen, irgendwo in Deutschland. Eine Durchschnittsfamilie startet ihren Tag. Die Katze springt auf den Tisch, ein Glas kippt runter und zerbricht, die jüngste Tochter schneidet sich dran, die ältere beklagt einen Pickel, die Eltern wirken angeödet, ein fremder Widerling hat vor die Haustür gekotzt. Man erzählt Anekdoten von neulich, sinniert auch mal über das Fallverhalten von Orangenschalen oder das Ungemach, im Sommer ein schwarzer Hund zu sein. Austausch findet so gut wie niemals statt, jeder redet so für sich allein, und wenn Mutti das Gequatsche der anderen eben nicht mehr erträgt, wirft sie mittendrin ein wild rumpelndes Küchengerät an. Samstagmorgen, irgendwo in Deutschland ...

Als gewollter Kinokonventionsbruch am laufenden Meter verschließt sich jene Bestandsaufnahme gängiger Rezeption, es scheint unmöglich, ernsthaft einer Familie zu folgen, die ohne Nachhaken oder Problem akzeptiert, wenn auf die desinteressierte Frage nach dem Verbleib des kleinsten Mitglieds jemand analog müde antwortet: „Wischt das Erbrochene weg und füttert die Ratten.“ So bleibt eine beobachtende Versuchsanordnung, deren Mittel sonst wohl ziemlich negativ bewertet würden, hier jedoch perfekt zusammenpassen – theatralisch anmutende Monologe, kein sichtbarer Handlungsfaden, statische Kamera. Letztere blickt immer wieder gern an den Figuren vorbei, läßt sie außerhalb des Blickwinkels sprechen, gewährt so einigen Personen vor uns, den Geschehnis-Zeugen, versteckte Zufluchten, verortet aber auch Mama konsequent in der Küche. Solcher Verzicht auf Bebilderung momentaner Abläufe schafft gleichzeitig doppelbödig verlaufende Brücken aus Optik und Akustik zwischen verdammt komisch, tieftraurig, echt gemein und jederzeit faszinierend.

Innerfamiliär überwindet diese alltäglichen Zusammenlebensgräben indes bloß der Hund: Völlig gebannt lauscht er dem Schnurren der Katze, knurrt ergriffen dazu. Die empathischste Kommunikation im ganzen Film.

D 2013, 72 min
FSK 0
Verleih: Peripher

Genre: Experimentalfilm

Darsteller: Jenny Schily, Anjorka Strechel, Mia Kasalo, Luk Pfaff

Stab:
Regie: Ramon Zürcher
Drehbuch: Ramon Zürcher

Kinostart: 02.01.14

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...