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Das wahre Leben

Deutsches Problemkino in Reinkultur

Wer sich die Zeit nimmt, ein wenig zu recherchieren, wird schnell auf den Arbeitstitel dieses Films stoßen, welcher BUMMM! lautet. Das ist insofern ganz treffend, weil Linus, halbwüchsiger Sohn der handelnden Familie Spatz, in seiner Freizeit unter Einsatz von Bomben Marke Eigenbau alles gen Himmel sprengt, was ihm vor die Augen kommt. Das ganz ähnlich klingende BARM! wäre allerdings ehrlicher gewesen, denn wir haben es mal wieder mit einem teutonischen Jammerstück zu tun.

Da sind die fatalen pyromanischen Neigungen des Jüngsten bloß ein Anfang. Sprößling Nummer 2 lebt nämlich gerade seine Homosexualität aus, und zwar ausgerechnet beim Bund, was er Papa jedoch verschweigt. Selbiger, ein Top-Manager, hat gerade seinen Job verloren, wurde von den Franzosen geschluckt. Nach zwölf Jahren "Experience Value" und "Tie Ranks" heißt es jetzt, sich mit den ganz alltäglichen Familienproblemen auseinanderzusetzen. Die nominellen Lieben reagieren darauf erst gelind entsetzt, dann schwer verstört, denn Vater versucht Versäumtes mit dem Holzhammer nachzuholen. Ehefrau Sybille flüchtet gar in die Arme eines anderen Mannes. Die Nachbarn sind schließlich auch keine Hilfe: Mutter und Tochter leiden simultan unter einem Trauma, bekämpfen es aber aufgrund Kommunikationsbarrieren voneinander unabhängig durch Tablettenkonsum beziehungsweise "Fuck The World!"-Attitüde.

Viel mehr gibt es dazu kaum zu sagen: Das ist deutsches Problemkino in Reinkultur, unsäglich aufgeblasen, bis zum Erbrechen deprimiert. Abgesehen davon, daß man jede Wendung auf Minuten vorhersieht, bleibt am Ende eigentlich nur noch die Frage, wieso man sich nicht gleich an Ort und Stelle den Strick nehmen sollte. Wenn dies nämlich tatsächlich das titelgebende wahre Leben wäre, bedeutete es bloß zwischenmenschliche Ruinen, was man angesichts der allgemeinen Überladenheit noch nicht mal als Satire verstehen kann. Selbst wenn ein einziges Mal erfrischende Ehrlichkeit die Trauerwolken durchbricht – als Ulrich Noethen seiner Filmgattin Katja Riemann ankündigt, mit ihr reden zu wollen, antwortet sie nüchtern: "Willst Du mir den Abend versauen?!"

D 2006, 103 min
Verleih: Zorro

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Ulrich Noethen, Katja Riemann, Josef Mattes, Hannah Herzsprung, Juliane Köhler

Regie: Alain Gsponer

Kinostart: 05.04.07

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...