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Das weiße Rauschen

Vom Versuch mit Erfahrung

Zunächst scheint Lukas nur ein wenig überspannt. Vielleicht einen zuviel geraucht. Oder einen zuwenig. Mag man denken. Vielleicht mag man zunächst auch noch rätseln, was ihn überfordert. Der Umzug aus einem Kaff in den Großstadtdschungel Köln, die WG mit seiner älteren Schwester Kati und dem ewig breiten Jochen, die Universität, die ein Labyrinth zu sein scheint, aus dem er nur gerade mal so wieder heraus findet, nicht aber hinein? Die Kamera ist nah dran, folgt Lukas, statt ihm den Weg zu zeigen. Da ist nur Licht, wo ein wenig vom Tag ist, keiner da, der ihm Platz schafft, Raum ist nur durch ihn allein.

Eines Abends passiert es. Das erste Date mit einem Mädchen platzt, weil im Kino der falsche Film läuft. Lukas rastet aus, und plötzlich ist er selbst im falschen Film. Nach einem Nachmittag im Grünen und einem Psylocibin-Trip hört er plötzlich Stimmen, sucht die Wände seines Zimmers nach versteckten Lautsprechern ab, legt Protokolle der quälenden Verfolgung an, bastelt an Apparaturen zu seiner Rettung und wird die Stimmen dennoch nicht los. Selbst als er seine Schwester und Jochen schließlich tätlich angreift, zeigen diese sich zu keiner Reaktion fähig, und erst als der von den unsichtbaren Verfolgern Gepeinigte aus dem Fenster springt und überlebt, scheint Rettung in Sicht. In der geschlossenen Anstalt jedoch wird die Diagnose mit dem Wort Schizophrenie nur benannt und mit starken Psychopharmaka allemal eine große Müdigkeit verordnet.

Regisseur Hans Weingartner hat sich mit seiner Abschlußarbeit auf kein neues, doch filmisch selten gewagtes Thema eingelassen. Die Diskussion, heftig geführt in den letzten zwanzig Jahren, ob es Schizophrenie überhaupt gibt, hat er bewußt ausgeblendet. Sein Versuch, sich in einen jungen Menschen einzufühlen, der an Halluzinationen und Wahnvorstellungen leidet, berührt ein Thema, welches die Gesellschaft gründlich scheut - obwohl Statistiken besagen, daß einer von hundert Menschen irgendwann an der sogenannten Schizophrenie erkrankt. Weingartners Bemühen, dem Publikum den Zustand Betroffener nebst den Reaktionen der Gesellschaft nahe zu bringen, wird durch die starke Leistung Daniel Brühls in der Hauptrolle sichtbar unterstützt. Letztlich aber bleibt der Anspruch des Films, eine Erfahrung sein zu wollen, unerfüllt. Eine von vielen Fragen, die unbeantwortet bleiben (müssen), nämlich lautet: Ist gerade das möglich?

D 2001, 107 min
FSK 12
Verleih: X Verleih

Genre: Drama

Darsteller: Daniel Brühl, Patrick Joswig, Katharina Schütter

Regie: Hans Weingartner

Kinostart: 31.01.02

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.