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Das Zimmer meines Sohnes

Nanni Morettis stilles Meisterwerk - ein kluger und trauriger Film

Organisiert, doch nicht hermetisch; harmonisch, doch stets eigenwillig; liebevoll und doch nie schwülstig - so bebildert Nanni Moretti in diesem einzigartigen Film den Hort der Familie, den wärmenden Schoß aller Lebenswege. Hier wird geliebt, gelebt, gezänkt, gesprochen und gestritten - immer mit Respekt. Giovanni, der Vater, ist erfolgreicher Psychoanalytiker, der es ab und an in puncto Kauzigkeit selbst mit seinen neurotischen Klienten aufnehmen kann. Paola, die Mutter, arbeitet als Verlegerin und ist erfreulicherweise nicht als hütende Glucke von Tochter Irene und Sohn Andrea skizziert. Gemeinsam mit seinem Vater hat es sich Andrea zur Gewohnheit gemacht, an schönen Tagen durch die Adria-Stadt Ancona zu joggen. Dabei führen sie intensive Gespräche.

Sie sind sich sehr nah. Gerade wollen sie sich wieder zu sportlicher Betätigung aufmachen, als der dringende Anruf eines Patienten den Vater davon abbringt. Er streicht seinem Sohn das Haar, entscheidet sich schweren Herzens für die Pflicht, und Andrea geht mit Freunden tauchen. Dabei verunglückt der halbwüchsige Junge tödlich.

Das Herz will einem zerbersten, wenn Moretti mit sensibler Kamera von der Stille, der Ohnmacht und dem unfaßbaren Schmerz erzählt, die der Verlust des geliebten Kindes und Bruders in der nun lückenhaften Familie verursacht. Giovanni muß schreien, krampfartig, schuldbeladen. Paola weint leise. Irene treibt Sport bis zur totalen Erschöpfung. Die unbeschreibbare Zäsur muß die Familie zwangsläufig an die Grenzen ihrer Ängste, ihrer Wut und Unbeherrschtheit treiben. Sehr lange spricht niemand die Tatsache aus, Blicke, Tränen, Isolation porträtieren die Pein. Doch irgendwann muß das Leben der Familie weitergehen, anders zwar, aber eben wieder lebenswert und glücklich. Das Treffen mit einer Brieffreundin Andreas, die er erst kürzlich kennengelernt hatte, könnte ein Anfang sein.

Paola erzählt dem Mädchen vom Tod ihres Sohnes. Später unternimmt die Familie mit ihr eine kleine Reise, an deren Ende auch wieder gelächelt wird. Nanni Moretti ist ein bodennaher und dennoch einfühlsamer Künstler. Niemals brachial, niemals rührselig erzählt er vom Alptraum des Verlustes geliebter Menschen. Er setzt den Tod des Sohnes einer irreparablen Entwurzelung gleich. Nach einem solchen Trauma kann es eigentlich nicht weitergehen. Aber es muß. Für diesen klugen und traurigen Film sollte man ihm dankbar sein. Natürlich laufen einem pausenlos die Tränen über die Wangen. Das ist völlig normal, weil es anders einfach nicht geht.

Originaltitel: LA STANZA DEL FIGLIO

I 2001, 99 min
Verleih: Prokino

Genre: Drama

Darsteller: Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmine Trinca, Giuseppe Sanfelice

Regie: Nanni Moretti

Kinostart: 22.11.01

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.