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Dem Himmel ganz nah

Ein dokumentarisches Abschiedsgedicht

Man muß mit der Legende beginnen, in geradezu biblischen Urzeiten. Da verstreute Gott eine Handvoll Erde. So eher in Gleichmut jene Gebirgszüge schaffend, die man heute als Transsilvanische Karpaten kennt. Eine Landschaft, die tatsächlich wirkt wie hingeworfen. Inmitten der Welt und ihr doch zugleich entzogen. Archaisch erdig und dem Himmel ganz nah. Abweisend rauh und verlockend ursprünglich. Schön, karg, einsam. Der modernen Welt der Gegenwart den Rücken kehrend.

Titus Faschinas Film DEM HIMMEL GANZ NAH ist ruhig beobachtendes Familienporträt, betörendes Naturgemälde im Wechsel der Jahreszeiten und eine Abschiedselegie. Drei Menschen, Vater, Mutter und Sohn, die das machen, was auch ihre Vorfahren seit Generationen schon machten. Den einsamen Berghof bewirtschaften, den Acker bestellen, die Schafe hüten. Ein Leben nach den Vorgaben der Natur, dem Diktat der Jahreszeiten. Diese strukturieren auch Faschinas Dokumentarfilm. Kameramann Bernd Fischer liefert dazu Bilder in einem bestechend klar konturierten Schwarz-Weiß. Hier mitnichten nur ein bloßes ästhetisierendes Stilmittel. Vielmehr eine Zwangsläufigkeit. Man muß es sehen, um zu begreifen, daß die Wahl für Schwarz-Weiß die einzig richtige war. Man muß sehen, wie diese Landschaft, in diesen Bildern der Farbe beraubt, leuchtet, verblaßt, wieder erblüht. Das ist, ohne Naturschwelgerei, das Gegenteil von „bildgewaltig.“ Das ist kunstvoll und von stiller Suggestion. Ohne sich in dieser zu verlieren. Also ohne diese drei Menschen zu vergessen, denen man hier bei einem Leben beiwohnt, das in der heutigen Zeit mehr denn je als purer Anachronismus aufscheint. Kommentarlos, mit der Neugier und Geduld wirklichen Interesses, wird hier ein Alltag gezeigt, den man mit Adjektiven von „entbehrungsreich“ bis „bodenständig“ nur oberflächlich, nie treffend beschreiben kann. Es ist, wie es ist und immer schon war – auf diesem Stück von Gott verstreuter Erde.

Doch wie lange wird es noch so sein? In die Gesichter von Dumitru dem Schafhirten und seinem Sohn Radu kann man oft und lange blicken. Auch mit dem während des Films wachsenden Bewußtsein, daß diese Art Physiognomien aussterben werden, weil diese Art zu leben am Aussterben ist.

D/Rumänien 2010, 97 min
Verleih: GMfilms

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Titus Faschina
Kamera: Bernd Fischer

Kinostart: 13.10.11

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.