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Der Aufsteiger

Politthriller der Oberklasse

Macht ist erotisch. Und gefräßig. Sie lockt und zerfleischt. Sie macht stark, aber sie erwartet Opfer. Je größer die Macht oder auch nur der Wille zu ihr, desto größer ist der Preis, den es an sie zu entrichten, den es in ihrem Namen zu zahlen gilt. Denn von der Macht kosten, von ihr zu zehren, heißt immer auch, von ihr gefressen zu werden. Überlebt man das, ist man am Ende etwas Verdautes, Deformiertes, Verkrüppeltes. Anders gesagt: weit hinaufgekommen in der Hierarchie.

Bertrand Saint-Jean ist französischer Verkehrsminister. Seine Position scheint stabil. Aber was ist schon „stabil“ im Politzirkus? Saint-Jeans aktuelles Projekt ist die Privatisierung der Häfen. Eine Kraftprobe, ein Balanceakt unter dem kritischen Beschuß der Presse und über Stolpersteine hinweg, die intrigante Politkollegen und mit allen Wassern gewaschene Gewerkschaftler in den Weg legen. Der Absturz ist allgegenwärtig, aber ein böses Schicksal meint es gut mit Monsieur Saint-Jean: Ein verheerender Busunfall, tote Jugendliche, geschockte Angehörige. Rettungspersonal, Blut, Chaos, Tränen und ein Verkehrsminister, der, blitzschnell vor Ort, die richtige Figur macht, die richtigen Worte sagt. Sogar die richtige Krawatte trägt. Das kommt an in der Öffentlichkeit, das stärkt Positionen. Das mischt die Karten neu.

Unerbittlich, aber ohne zu diskreditieren, ohne billige Empörung – DER AUFSTEIGER ist ein Politthriller der absoluten Oberklasse. Die Machtrotation von Lockung und Verschleiß analysierend in kühl-ästhetischen Bildern. Ein Macht-Psychogramm, das formal mit Paolo Sorrentinos IL DIVO korrespondiert und bei dem man sich (ganz kurz nur) fragt, warum verdammt noch mal das deutsche Kino so etwas nicht kann. Die Geschichten dafür gäbe es auch hier.

DER AUFSTEIGER zeigt vollendet, was sich aus solchen Geschichten für ein Kino formen läßt. Regisseur Pierre Schoeller hat den Erzählton seines Films perfekt austariert zwischen Distanz und Empathie. Die Bilder bewegen sich mit Saint-Jean in einem Zustand latent angespannten, überreizten Traumwandelns unter dieser seltsamen Glasglocke der Macht, die der Realität den Sauerstoff entzieht. Die Loyalitäten und Skrupel erstickt und bizarr-erotische Angstlust-Träume beschert. Und in die ein weiterer, brachial-tödlicher Unfall unheimlich ziselierende Risse schlägt, durch welche Saint-Jean plötzlich der gespenstische Atem des Lebens und des Todes, mithin die Ahnung von Leere und Endlichkeit umweht. Grandios!

Originaltitel: L’EXERCICE DE L’ÉTAT

F 2011, 112 min
FSK 12
Verleih: Kool

Genre: Drama, Polit, Thriller

Darsteller: Oliver Gourmet, Michel Blanc, Zabou Breitman

Regie: Pierre Schoeller

Kinostart: 06.12.12

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.