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Der fliegende Händler

Lebenskluges über kleine Differenzen

Es wurde schon oft gesagt, und doch muß man immer wieder attestieren, daß nur die Franzosen in derartiger Regelmäßigkeit das Leichte im Schweren, das Skurrile im Banalen und das Zärtliche im Rauhen herauszufiltern vermögen wie kein anderes Filmland. Sie verstehen quasi etwas vom Leben, und das sieht man ihren Filmen an.

Diesem hier zum Beispiel. Eine zwar recht überraschungsökonomisch aber immer hinreißend erzählte Geschichte über die Schwierigkeit, sich von den Eltern abzunabeln, vom Umgang mit den kleinen Lügen, von der Schlucht zwischen Stadt und Dorf, von der Möglichkeit einer Annäherung. Die aber erscheint erstmal schwierig, den Antoine ist mittlerweile Vollblutstädter und kann sich bei aller Liebe nicht vorstellen, ins Krämergeschäft seiner Eltern mitten in der malerischen südfranzösischen Provinz einzusteigen. Hilfe wäre aber dringend nötig, weil der Vater, ein waschechter Kotzbrocken übrigens, durch einen Herzinfarkt außer Gefecht gesetzt wurde, die Mutter nicht alles allein schaffen kann, und den Dörflern in den angrenzenden Gemeinden der fliegende Händler fehlt, der im Mini-Lkw mit Verkaufstheke neben Grundnahrungsmitteln auch mal schon eine Flasche begehrten Verdauungsschnapses über die Dorfstraßen schippert. Auch wenn Antoine sich anfangs wehrt, immer wieder Rückschläge in seiner Motivation wettmachen muß ("In den Dörfern riecht’s nach Tod ...") kommt er dieser Arbeit mit wachsender Begeisterung nach, was auch an seiner entspannten Freundin Claire liegt, die die Herzen der Bauern im Sturm erobert.

Doch da dies nicht allein ein Bilderbuch über gute Menschen in der atemberaubenden Schönheit der Alpes de Haute Provence sein soll, hält Regisseur Guirado einige Stolpersteine parat, die dem Film und seinen sich liebenden, streitenden und auf Umwegen zusammenfindenden Figuren die nötige Bodenhaftung geben. Fundiert ist auch sein Blick in den Berufsstand des Gemischtwarenhändlers, der heute vor allem an den globalen Supermarktketten zu leiden hat. Weil im schon unanständigen Preis-Leistungs-Rausch eine individuelle Kultur zu Markte getragen wird, bricht Guirado eine Lanze für das Persönliche, ganz jammerfrei und selbstverständlich. Im aktuellen Kino wird der Zusammenprall der Generationen wieder stärker thematisiert, so treffen auch hier Enttäuschung und Unsicherheit aufeinander, auch hier müssen die Kerne unter harter Schale im Zwiebelhautverfahren ans Licht gebracht werden. Auf Antoines Weg in Kaffs und die Herzen ihrer Bewohner lauern natürlich allerhand skurrile Figuren, denen Antoine schon einst als Kind begegnete: dem alten Schäfer, der vier Eier gegen eine Büchse junger Erbsen tauscht, die schräg frisierte Lucienne, die damals in einem abgelegenen Schuppen ihre wechselnden Liebhaber empfing ...

Guirado geht sehr liebevoll mit all seinen Figuren um, vermeidet dabei erstaunlich routiniert für einen ziemlichen Spielfilmnovizen - er drehte bislang Dokumentationen und erst einen Langspielfilm - sämtliche Klischeefallen und allzu simple Sentimentalitätsmuster. So gelang ihm ein einfacher, ein einfach schöner, ein sympathischer und dabei so wohltuend lebenskluger Film, der einem zumindest für gut neunzig Minuten die Sorge nimmt, daß die alten Häuser, an denen sich der Wein empor rankt, irgendwann leere alte Häuser sein könnten.

Originaltitel: LE FILS DE L’ÉPICIER

F 2007, 96 min
Verleih: Arsenal

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Nicolas Cazalé, Clotilde Hesme, Daniel Duval

Regie: Eric Guirado

Kinostart: 24.04.08

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.