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Der Mann, der über Autos sprang

Metaphysik des Gehens

Julian ist sanft wie ein Kind, hellsichtig wie ein Prophet, rätselhaft wie eine Sphinx, und er ist abgehauen. Soeben hat er sich selbst aus einer Berliner Psychiatrie entlassen und macht sich ohne größeres Federlesen auf den Weg ins Schwäbische – im schwarzen Anzug, lächelnd und zu Fuß. Daß es sich dabei um einen Bittgang handelt, die Wanderung in ein imaginäres Canossa, daß es damit ein Leben zu retten und einen Tod zu sühnen gilt, offenbart sich allmählich, sozusagen Schritt um Schritt.

Julians Deutschlandreise ist Nick Baker-Monteys ungewöhnlicher Beitrag zu einem Genre, das wohl für lange Strecken, nicht immer aber für gedankliche Ausdauer steht. Das Roadmovie an sich neigt trotz Pferdestärken gelegentlich zum Stillstand. Schon deshalb darf ein entsprechender filmischer Sprung auch einmal jenseits der Genregrenzen landen – zum Beispiel in dieser merkwürdigen, spätsommerlich durchsonnten Wanderlandschaft, die sich erst auf den zweiten Blick als undurchdringliches Dickicht aus Zeichen und Wundern entpuppt.

Ganz ohne Benzin läuft diese auf Schritt-tempo gedrosselte Roadmovie-Variante allerdings nicht. Denn Julians Reisebekanntschaften sind zunächst einmal motorisiert: Die überforderte Assistenzärztin Ju, die scheue Ruth, ursprünglich auf dem Weg in den Familienurlaub, und schließlich Polizist Jan, der den Flüchtigen einfangen soll, aber an seinen Problemen und einer leeren Autobatterie scheitert. Sie alle lassen ihr Leben für kurze Zeit hinter sich und gehen mit – im Vertrauen auf eine magische Kraft, für die Julian den Beweis, fast bis zuletzt, schuldig bleibt.

Baker-Monteys wagt nichts weniger als einen Salto spirituale, einen Sprung, ach was, einen riesigen Satz hinüber ins Grenzgebiet zu Kornkreisen, Parapsychologie und Esoterik. Nicht alle werden ihm dorthin folgen wollen. Aus verständlichen Gründen, ist zu ergänzen. Denn in energetisch ungünstigen Momenten kann einem dieses zwischen kindlich und geheimniskrämerisch schwankende Mystery-Drama mit seinen umwölkten Motiven auch bis zur Lächerlichkeit komisch vorkommen. Mindestens aber sind Zweifel angebracht, ob sich der Film über seine Ziele ebenso sicher ist wie die Hauptfigur.

D 2010, 105 min
FSK 6
Verleih: Arsenal

Genre: Drama, Mystery

Darsteller: Robert Stadlober, Jessica Schwarz, Martin Feifel, Anna Schudt

Stab:
Regie: Nick Baker-Monteys
Drehbuch: Nick Baker-Monteys

Kinostart: 09.06.11

[ Sylvia Görke ]