Originaltitel: MA LOUTE

F/D 2016, 122 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Satire

Darsteller: Juliette Binoche, Fabrice Luchini, Valeria Bruni Tedeschi

Stab:
Regie: Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont

Kinostart: 26.01.17

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Die feine Gesellschaft

Juliette ohne Leine

Sommerfrische? 1910 an der Normandieküste eine nominell tödliche Angelegenheit. Ständig verschwinden Urlauber spurlos, ein schwungmassiger Chef-Ermittler betreibt – vorsichtig formuliert – unorthodoxe Spurenanalyse, man erwartet ständig, daß in den reichlich überkandidelten Szenen Geräuschblasen wie „Knuff!“ oder „Zock!“ aufpoppen, was letztlich indes nie passiert. Schade.

Derweil sammeln arme Leute mühsam Muscheln, die Reichen hingegen finden alles „wunderbar“ und „göttlich“, jeder 08/15-Vogel erfährt gesonderte Würdigung. Wenn die arbeitende Bevölkerung mit dem Attribut „anbetungswürdig“ beschwärmt wird, grinst das Zerrbild friedlicher Arroganz, die theoretisch vielleicht würdigen will, praktisch jedoch am Rand des Zynischen wankt. Was wunderbare Darsteller spielen, darunter Fabrice Luchini als buckliger Trottel, den sogar das Hausmädchen ankeift, oder Valeria Bruni Tedeschi im Delirium zwischen süßer Realitätsflucht und störenden Wirklichkeitsattacken. Sie begreifen Theatralik, wildes Fuchteln und schlimme Grimassen als nicht überzustrapazierende mimische Kunst, geben ihrem jeweiligen Affen ordentlich Zucker, achten aber auf die Dosis.

Juliette „Aude“ Binoche allerdings tut es nicht, sondern versetzt das arme diabetische Tier direkt ins Schockkoma. Binoche mimt Exaltiertheit bloß lärmend herbei, sie weiß der Satire nicht nuanciert zu begegnen, okkupiert den unkollegial eigeninszenierten Mittelpunkt wie ein hungriger Hund seinen Napf. Apropos: Ungeachtet aller Nerverei ist es immerhin stark erheiternd, La Binoche beim ziemlich erfolglosen Zerkauen eines offenbar stahlharten Stücks undefinierbaren Fleisches zu beobachten ...

Die bislang aus Situationsflicken zusammengesetzte Handlung verdichtet sich, denn Audes Tochter Billie, eine androgyn gestylte Selbstsuchende, nähert sich dem Sproß einer Fischerfamilie mit spannenden Eßgewohnheiten an: „Will noch jemand Fuß?” Und dann geht’s richtig rund, irgendwo zwischen hingerissen und nach dem Sinn fragend verfolgt man die zunehmend (w)irren Verwicklungen, bitteren Bösartigkeiten, das dunkle Inhumane unter der gleißenden Sonne, die inkurable menschliche Verkommenheit. Daher: Ob nun rundum begeistert oder eher von enervierendem Gedöns hinterrücks angesackt – kalt läßt einen diese groteske Monstrosität voller hochgradiger Schärfe und tiefergelegtem Blödsinn garantiert nicht.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...