Originaltitel: WOMAN WALKS AHEAD

USA 2017, 111 min
FSK 12
Verleih: Tobis

Genre: Western, Drama

Darsteller: Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds

Regie: Susanna White

Kinostart: 05.07.18

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Die Frau, die vorausgeht

Vollblütiges, stark besetztes Erzählkino

Carolin Weldon (1844–1921) war Bürgerrechtlerin, Künstlerin und außerdem die Vertraute und Privatsekretärin von Thathanka Iyotake. Allgemein bekannt unter dem Namen Sitting Bull. 1889 war das, als die kurz zuvor verwitwete New Yorkerin aufbrach gen Wilden Westen. Hin ins Dakota-Territorium, zum Stamm der Lakota-Sioux ging die Reise, die Weldon mit der ihr eigenen, sehr interessanten Charaktermischung aus Naivität und Willenskraft plus Farbe, Leinwand und Staffelei im Gepäck antrat. Nichts Geringeres im Sinn, als den legendären Stammeshäuptling und Medizinmann der Hunkpapa-Lakota-Sioux, Mr. Sitting Bull, zu porträtieren. Es sollte ihr, allen Widerständen und Gefahren zum Trotz, gelingen. Der Name, den die Sioux Carolin bald gaben, läßt ahnen, warum: die Frau, die vorausgeht.

Regisseurin Susanna White hat deren Geschichte jetzt verfilmt. Was dabei herauskam, ist ein Werk sehr eigener Charaktermischung. Wie auf den Bildern Weldons die Aquarellfarben mischen sich hier Realismus und Romantik, (auch ethnologische) Genauigkeit und freies Fabulieren, bittere Anklage und hollywoodhafte Schönung, Western und Emanzipationsgeschichte. Man ahnt den Vorwurf, die dieser Mix provozieren mag. Das offensichtliche Bemühen einer erzählerischen Symbiose dieser Elemente kann man gut und gern auch als Unentschiedenheit apostrophieren.

Und doch ist DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT starkes, vollblütiges Erzählkino. Eins der wahrlich gemäldehaften Naturbilder und auch mal pathetischen Menschengesten, die allesamt gut passen zu dieser Geschichte, die schwermütig und sehnsuchtsvoll humanistisch vom Heroismus der Vergeblichkeit und dem Untergang eines Volkes erzählt. Jessica Chastain als Carolin Weldon ist einmal mehr großartig. Und natürlich schöner als die Original-Carolin. So wie auch Michael Greyeyes als Sitting Bull ein recht „edler Wilder“ von echtem Hollywoodformat wurde.

Aber was sagt das schon? Also außer, daß wir eben im Kino sind, und das Kino eben so frei ist. Weil nun aber DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT sich zugleich nie vor bitteren Wahrheiten scheut, werden diese Freiheiten wiederum nie zu Lügen. Für das Schuldenkonto der amerikanischen Demokratie gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern gibt es hier keinen Kredit. Die Filmhandlung endet im Winter 1890, mit der Ermordung Sitting Bulls, kurz vorm Wounded-Knee-Massaker.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.