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Die Hüterin der Wahrheit

Epischer Atem und falsche Hast

Schon eine unangenehme Vorstellung: daß es jemanden gibt, der über die Gabe verfügt, mit einem tiefen Blick in die Augen all die Dinge in einem zu sehen, für die man sich schämt. Die man aus gutem Grund in einen dunklen Winkel seines Innenlebens verdrängt hat oder auch ganz bewußt dort versteckt hält.

Dina heißt das Mädchen, das in DIE HÜTERIN DER WAHRHEIT über diese Gabe verfügt. Wobei „Gabe“ eher das falsche Wort ist. Das Verdrängte und Versteckte, das Schambehaftete eben, in den Menschen sehen zu können, macht Dina zur Außenseiterin. Zur „Beschämerin“, die man meidet, in einer Mischung aus Angst und Verachtung.

„The Shamer Chronicles“ heißt die Fantasy-Buchreihe, auf deren erstem Teil jetzt DIE HÜTERIN DER WAHRHEIT basiert. Und weil heute ja alles seriell angelegt sein muß, und weil gerade Fantasy-Autoren sich gern den Anstrich des Viele-dicke-Bücher-Epikers geben, wurde diese Verfilmung eine, die partiell – und das ist die schlechte Nachricht – wirkt, wie eine zu lang geratene Exposition. In der lernt man Dina kennen. Abseits des Dorfes lebt die mit Bruder, Schwester und Mutter Melussina. Auch die eine „Beschämerin“, deren Können eines Tages auf höchster Ebene gefordert ist. Prinz Nicodemus wird des Königsmordes beschuldigt, die Tat kann ihm allerdings nicht bewiesen werden. Melussina soll das ändern, und tatsächlich hat Nicodemus sich dann beim Blick in die Augen durchaus auch einiger Sachen zu schämen. Allerdings nicht für Mord. Das zu erkennen bringt wiederum Melussina ebenso in Gefahr wie ihre Tochter. Und das auch, weil die skrupellosen Intrigen am Königshof so etwas wie „Scham“ nicht zu kennen scheinen.

Um zur guten Nachricht zu kommen: Atmosphärisch stimmig, auch spannend ist, was Regisseur Kenneth Kainz mit DIE HÜTERIN DER WAHRHEIT zu zeigen vermag. Finsterlinge in düsteren Burgen, allerlei Volk in mittelalterlichen Gassen, von Drachen bewohnte Kellergewölbe plus sympathischer Heldin. Paßt alles und sieht ganz malerisch aus, inklusive jener Naturkulissen der böhmischen Schweiz, in der teilweise die Dreharbeiten stattfanden. Nur daß all das irgendwann den Rhythmus verliert, der epische Atem zu hecheln beginnt, weil die Handlung zu einem Ende galoppiert, das weder ein richtig offenes ist, noch einen wirklichen Schlußpunkt setzt. Dafür aber etwas plump von der Produzentenoption zur Fortsetzung kündet.

Originaltitel: SKAMMERENS DATTER

DK 2015, 96 min
FSK 6
Verleih: Polyband

Genre: Fantasy, Literaturverfilmung, Kinderfilm

Darsteller: Rebecca Emilie Sattrup, Maria Bonnevie

Regie: Kenneth Kainz

Kinostart: 18.02.16

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.