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Die Unberührbare

Verstörend-intensives Schauspielerkino

Angetrunken, zittrig, hypernervös sitzt Hanna Flanders in ihrer frostig-edlen Wohnung in München und begreift nicht, wie sich im Herbst 1989 so viele Menschen über die Wende freuen können. Für sie als linke Schriftstellerin, deren große Zeiten Jahre her sind, bricht eine Welt zusammen, hielt sie doch den Osten für das bessere, gerechtere Deutschland. Hier wurden ihre Bücher auch verlegt, als sie dem Westen zu suspekt wurde. Hanna nimmt ihre letzten Kräfte zusammen, um eventuell doch ihren Platz in der neuen Ordnung zu finden und zieht nach Berlin. Doch dort wartet das endlose Grau auf sie. Ihr ehemaliger Ost-Verleger weicht ihr aus, selbst ihr Sohn macht ihr klar, daß sie unerwünscht ist und Hanna muß ins Hotel. Aufgrund ihrer Langeweileattacken in Münchens Schickeria-Boutiquen finanziell arg gebeutelt, muß sie bald weiterziehen. Sie lernt die hilfsbereite Carmen kennen, die sie mit zu ihrer Familie in einen Plattenbau nimmt. Doch Hanna erträgt auch hier die Freude über den Sieg des Kapitalismus nicht und muß nach München zurück. Sie kann nicht mehr atmen...

Der Glaube an den ernsthaften, realistischen und ergreifenden deutschen Film jenseits künstlichen Pathos’ schien verloren, doch nun hat Oskar Roehler den letzten Abschnitt im Leben seiner Mutter, der Autorin Gisela Elsner verfilmt. Und solch intensiv-verstörendes und zutiefst bewegendes Kino gab es lange nicht zu sehen. Roehler treibt den Zuschauer in die Ecke. Man kann sich dem Schicksal, der Verzweiflung von Hanna Flanders einfach nicht entziehen, und es bricht einem trotz oder wegen aller Irrationalität in ihrem Wesen das Herz. Und: Kniefall vor Hannelore Elsner! Diese Frau gehört viel öfter auf die große Leinwand. Völlig uneitel, grenzenlos emotional lebt sie die Hanna. Daß sie keine Scheu vor Häßlichkeit besitzt, macht sie schön. Wo andere Schauspieler an der Oberfläche bleiben, kriecht Hannelore Elsner in ihre Rolle, saugt die Zerrissenheit und Enttäuschung ihrer Hanna auf und spiegelt durch ihr authentisches Spiel auch die Lebensängste zahlreicher Künstler während politischer Veränderungen wieder. Ein aufwühlender, ein ehrlicher Film.

D 1999, 100 min
Verleih: Advanced

Genre: Biographie, Schicksal, Drama

Darsteller: Hannelore Elsner, Michael Gwisdek, Vadim Glowna, Lars Rudolph

Regie: Oskar Roehler

Kinostart: 27.04.00

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.