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Die Unsichtbare

Kleine, feine Risse

Wenn jemand eine Rolle spielt, in der er völlig aufgeht, mit ihr verschmilzt, erfüllen sich die Begehrlichkeiten des Publikums. Der voyeuristische Blick in die vermeintliche Seele des Helden nimmt uns gefangen, seine Authentizität. Regisseur Christian Schwochow arbeitet sich an diesem Thema in doppelter Form ab. Er setzt sich mit der Performance auf der Bühne und auch als Lebensform auseinander und präsentiert uns dabei in seiner Fiktion eine Schauspielerin, die mit voller Wucht trifft: Stine Fischer Christensen. Es raubt einem den Atem, wie sie als Fine, die unterschätzte Schauspielschülerin, alle Mitschüler auf der Schauspielschule, aber auch gleichzeitig Schwochochs Filmensemble an die Wand spielt. Schwochow hat den richtigen Hebel gefunden, alles aus ihr herauszuholen. Vielleicht auch, weil die Dänin Fischer Christensen erst für den Film Deutsch lernte und sich selbst an Isolation und Überwindung abarbeiten mußte, um eine Hauptrolle in einem deutschsprachigen Film zu spielen.

Die Chemie stimmt jedenfalls und entfaltet ihre hochexplosive Mischung, als Fine vom Kultregisseur Kaspar Friedmann, gespielt von Ulrich Noethen, für die Hauptrolle seines neuen Stückes gecastet wird. Als Camille soll sie all das verkörpern, was sie so offensichtlich nicht ausstrahlt: provozierende Sexyness, Selbstzerstörung, Mut zum Abgrund. Friedmann hat einen Riecher für die Risse in Fines Hülle. Er hat erkannt, daß dort etwas lauert. Fine beginnt, ihre Rolle zu leben, streunt nachts als Camille durch die Straßen, spricht Männer an, verliebt sich. Sie wendet sich auch erstmals gegen ihre überforderte Mutter und ihre behinderte Schwester Jule. Legt ihre permanente Rücksichtnahme ab. Sie will endlich gesehen werden. Wieviel „Echtes“ braucht es dafür?

Wäre es nicht Stine Fischer Christensen, die mit blonder Perücke den Engel der Nacht mimt, tagsüber wie eine Wahnsinnige die Wände des Bühnenkäfigs einrennt und mit dem Übervater Regisseur ins Bett geht, hätte dieser Selbsterkenntnistrip vermutlich schnell ins Banale abgleiten können. So erschafft sie Camille und zusammen mit Schwochow ein Surplus an „Erkenntnis“ jenseits der klischeebesetzten Schauspielwelt – es geht um die Rolle ihres Lebens. Es geht um die Rollen. Als Schwester, Tochter, Mutter, Geliebte, Künstlerin.

D 2011, 113 min
FSK 12
Verleih: Falcom

Genre: Drama

Darsteller: Stine Fischer Christensen, Ulrich Noethen, Dagmar Manzel, Christina Drechsler, Anna Maria Mühe

Regie: Christian Schwochow

Kinostart: 09.02.12

[ Susanne Schulz ]