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Eine Karte der Klänge von Tokio

Es waren zwei Königskinder ...

Eine Stimme aus dem Off ertönt, um sich an Ryu zu erinnern. Die schweigsame Frau arbeitet auf dem Fischmarkt in Tokio, schleppt also jeden Tag verblichenes Meeresgetier herum und hat auch sonst eine starke Affinität zum Tod. Denn Ryu bringt nebenberuflich Menschen um.

Weinhändler David soll ihr nächstes Ziel sein, weil der Vater seiner Exfreundin ihn für den Suizid seiner Tochter verantwortlich macht. Entgegen sonstiger Gewohnheiten besucht Ryu das Opfer vor dem Auftrag, und als David traurigen Auges einen sinnlichen Tropfen empfiehlt, hat sich die Außenseiterin verliebt, was in einer Affäre mündet. Nicht gut fürs Geschäft, schlecht auch für Ryu, denn natürlich kann das nur böse enden.

Kein origineller Plot, fürwahr, und trotzdem ringt ihm Isabel Coixet, ungeachtet starker Protagonistinnen wie Ann in MEIN LEBEN OHNE MICH, ihre bislang faszinierendste Frauenfigur ab. Diese Ryu ermordet fremde Personen – und säubert dann regelmäßig deren Grabsteine. Sie nimmt kalt Aufträge entgegen, ohne einen Blick für die Kirschblütenpracht neben sich zu verschwenden – und wirkt dabei völlig unschuldig. Aus solchen Kontrasten formt Coixet einen Charakter und seziert ihn bis ins Detail. Da hätte es der Liebesgeschichte gar nicht bedurft, ein ganzer Film nur über Ryu wäre ebenso interessant gewesen.

Doch David taucht nun mal auf, und zum Glück tendiert Coixet jetzt nicht Richtung Selbstfindung durch Liebe, denn sie weiß genau, daß dies, wie Rilke einst schrieb, „ ...eine Nähe ist, die sich an Ferne erprobt.“ Im Gegensatz zu seiner seufzenden Melancholie treibt die vielleicht größte europäische Erzählerin ihrem zum Scheitern verurteilten Pärchen aber jede Lyrik aus, sie schafft zwei Seelen, deren Zusammensein aus Verzweiflung besteht. Einmal erklärt David, er würde beim Sex mit Ryu an seine verstorbene Freundin denken. Ryu macht es nichts aus, wieso auch, wenn sie nur ihrer Einsamkeit entfliehen, sich gar Hoffnungen auf mehr machen darf. Entsprechend deutlich, aber gleichzeitig unerotisch wirkt das intime Treiben, reduziert auf Körperakrobatik.

Den herzzerreißendsten Glanzpunkt setzt Coixet aber durch den besagten Off-Sprecher, so unbeholfen er manchmal wirkt: Ein alter Mann erinnert sich an Ryu, sonst vermißt sie niemand. Die unbedingt erwähnenswerte Schönheit von Bildern, Musik und Ton mischt sich mit Trauer über ein ungelebtes Leben.

Originaltitel: MAP OF THE SOUNDS OF TOKYO

Spanien 2009, 109 min
FSK 16
Verleih: Alamode

Genre: Drama

Darsteller: Rinko Kikuchi, Sergi López

Stab:
Regie: Isabel Coixet
Drehbuch: Isabel Coixet

Kinostart: 12.08.10

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...