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Elle

Fest im Sattel

Warm soll es sein, das Blut! Warm und dick! Michèle treibt ihre Kollegen hin zur Authentizität. Als Co-Chefin einer Firma für Videospiele, deren neuestes Produkt wütende Orks im verfänglichen Spiel mit schönen Frauen zeigt, geht es ihr um Erfolg. Da steigt sie, so scheint es, auch schon mal über Leichen. Daß Michèle kürzlich mit echtem Blut zu tun hatte, als sie in ihrem Haus von einem maskierten Mann überfallen und vergewaltigt wurde, hat ihre Nüchternheit nur verstärkt. Nimmt sie sich eben den Hammer mit ins Bett. Kauft sich Reizgas. Läßt eine Anzeige außen vor.

Keine halbe Stunde nach der Tat bestellt sie Sushi, denn ihr erwachsener Sohn Vincent kommt zu Besuch. Das Fahrrad im Flur muß als Grund für das Veilchen am Auge herhalten. Keine Sekunde zögert Vincent, seiner Mutter zu glauben. Was hat das Leben nur aus Michèle gemacht? Für ihren Ex-Mann hegt sie noch so viel Gefühl, daß es für eine Art Eifersucht reicht, mit dem Gatten ihrer engen Freundin und Partnerin schläft sie wild und ruppig, verbal macht sie ihrer alten Mutter den nächsten jungen Geliebten abspenstig. Die Hauskatze hat noch das größte Glück, für sie wechselt Michèle in den Modus „mild.“

Diese Frau ist ein zigfach versiegeltes Buch, unberechenbar bis in die Haarspitzen, mit einem Reaktionsspektrum von kalkuliertem Florett bis spontanem Rundumschlag ausgestattet. Das hat das Leben aus Michèle gemacht! Regisseur Paul Verhoeven errichtet ihr für ELLE einen fordernden Zwei-Stunden-Parcours aus Thriller, Drama und Komödie, der nur mit festem Sitz im Sattel zu bewältigen ist. David Birkes cleveres Drehbuch filtert aus Philippe Dijans Roman „Oh …“ die Essenz. Offene Gewalt weicht lakonisch-bissigem Humor, das Techtelmechtel reifer Geschlechter duelliert sich mit deren ehrlichen und eingebildeten Leiden, die ganze westliche Gesellschaft mit Rollenbildern und Verfallsdaten wird vor dem Spiegel drapiert und damit gleich auf der Schippe. Da paßt es einfach, daß Michèle sogar mit ihrem Vergewaltiger später noch etwas vorhat, das sich keiner Logik unterwirft.

Und Isabelle Huppert? Ist Isabelle Huppert! Die Huppert! Es wäre so faszinierend zu erfahren, was sich die im Grunde verwandten Charaktere aus allein drei ihrer jüngeren Filme zu sagen hätten. Also bitte VALLEY OF LOVE, ALLES WAS KOMMT und MISSBRAUCH nachsichten, wobei es Letzterer nicht einmal ins Kino geschafft hat.

Originaltitel: ELLE

F/D/Belgien 2016, 130 min
FSK 16
Verleih: MFA

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Isabelle Huppert, Anne Consigny, Charles Berling, Virginie Efira, Christian Berkel

Regie: Paul Verhoeven

Kinostart: 16.02.17

[ Andreas Körner ]