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Fraktus

Auf dem Leim eines Pop-Phänomens

Man hätte sofort stutzig werden müssen, gleich zu Beginn, als Scooters Frontkasper H.P. Baxter tönt, ohne Fraktus hätte er nie zur Musik gefunden. Zum einen sind die hier eingespielten kargen, atonalen Klangkonstrukte Fraktus’ überhaupt nicht vergleichbar mit dem Rummelplatzgedröhn von Scooter, zum anderen hat Baxter Gleiches schon mal über Billy Idol oder Depeche Mode gesagt. Tagesformabhängig, möchte man da noch meinen, bis Licht in die Sache kommt, und man nicht anders kann, als Baxter doch ein gewisses Maß an schrägem Humor zuzugestehen. Ihm und auch den anderen illustren Gästen dieses absurden, albernen und längere Zeit fies manipulatorischen Fakedokukasperletheaters wie Blixa Bargeld, Stephan Remmler, Dieter Meier und Westbam. Mit einer Glaubwürdigkeit, die ihresgleichen sucht, schwadronieren sie über die unleugbaren Einflüsse dieser bahnbrechenden Elektropioniere Fraktus, die sich kurz vor dem Durchbruch nach einem Bühnenbrand auflösten und somit in Vergessenheit gerieten. Eine Band mit niedlichen Jungs aus Brunsbüttel, die keiner kennt. Wie auch? Und plötzlich gibt es da diesen umtriebigen, von Ehrgeiz und Geltungssucht leicht angefressenen Musikmanager namens Roger Dettner, der die nun rein mathematisch betagten Herren knapp 30 Jahre nach dem Split zusammenbringen will ...

Kopfschüttelnd wird man Zeuge eines durchgedrehten, in vielen Momenten witzigen und immer schön am Rand des Kinopunk langschürfenden Filmexperiments, das wie nebenher aber doch wenigstens einen Aspekt der Wahrhaftigkeit innehat – die Musikindustrie ist auf den Hund gekommen. Unterstrichen wird dies von einem augenzwinkernden Studioauftritt Fraktus’ mit dem Schranzbastler Alex Christensen – ein herrlich gagaesker Moment. Daß es mit der guten alten Popmusik tatsächlich aus ist – dafür genügt der Blick in die grenzdebilen Gesichter auf und vor der Bühne eines Tanztempels auf Ibiza, wo einer der Fraktus-Gründer jetzt sein Geld verdient. Dieser ominöse Herr Bage wird von einem zur Hochform auffahrenden und mit breitem Arschgeweih bestückten Heinz Strunk gegeben – göttlich! Auch die anderen Herren zeigen furchteinflößende Grandezza – Rocko Schamoni scheut sich nicht vor postgelben Zähnen und esoterischem Gedöns, hingegen Jacques Palminger mit Hitlerfrise den zartbesaiteten Hypochonder Bernd gibt, der abwechselnd an entzündlichen Milzbacken und dann wieder an Kongozunge leidet.

Mancher Gag schielt wunderbar um die Ecke, das garnierende Personal ist bauchhaltend komisch geschrieben – da wären Bages leicht depperter Deutsch-Spanisch radebrechender, dauerkochender und -grillender Teensohn Dieter-Miguel oder die Optikereltern von Bernd, die ihm für einen Comebackversuch als Fraktus II schon zur Seite stehen. Für den staunenden Zuschauer mag das alles kaum wie richtiges Kino durchgehen, und ganz ehrlich: isses auch nich! Aber dafür sind gute anderthalb Stunden anarchischer Spaß garantiert, der eben entsteht, wenn man doofen, großen Kindern beim Spielen zuschauen darf. Und wie bekloppt das so moderne Namedropping ist, wird einem mal wieder bewußt, wenn Fraktus-Frontmann Dickie Schubert, mittlerweile mit einer Peter-Cornelius-Gedächtnis-Frisur gesegnet, beim Vorbeifahren an einem Sven Väth-Plakat auf den Schlamm haut: „Mensch, der Väth und ich. Sooo dicke! Noch nie gesehen, aber sooo dicke ... Big X!“

Natürlich hat der Film darüber hinaus eine Botschaft, die dann wiederum und ausnahmsweise ganz ernst zu nehmen ist: Vorsicht vor älternen Jeanstypen in Comeback-Laune!

D 2012, 95 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Mockumentary, Komödie, Schräg

Darsteller: Devid Striesow, Heinz Strunk, Rocko Schamoni

Regie: Lars Jessen

Kinostart: 08.11.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.