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Gegenüber

Ein Heim für Demütigung und Sprachlosigkeit

Man kennt es: Irgendwo, vielleicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, sitzen sich zwei Fremde direkt gegenüber – und schauen trotzdem entschlossen aneinander vorbei. Bloß keinen ungewollten Blickkontakt herstellen! Man könnte ja etwas sehen, mit dem man nicht umgehen möchte. Zum Beispiel das Flackern in Annes Augen. Langsam wächst der Lehrerin alles über den Kopf, sie raucht auch wieder und bemüht sich doch nur, ihre Familie zusammenzuhalten. Ein schier unmögliches Unterfangen.

Gatte Georg vollbringt im Polizeidienst wahre Heldentaten, zu Hause tappt er aber von einem Fettnäpfchen ins nächste. Am meisten verletzt sie sein Schweigen. Ihr Vater dagegen, ein gönnerhafter Despot, kann kaum genug reden, um das Paar mal wieder daran zu erinnern, daß es finanziell von ihm abhängt. Und schließlich hat der Sohn gerade das Studium geschmissen. Immer öfter reagiert Anne paranoid, rastet bei Kleinigkeiten komplett aus. Schließlich kommt der Tag, an dem sie Georg wie im Wahn schlägt, sich den Frust von der Seele prügelt und tritt ...

Was leicht in Schuldzuweisungen versanden könnte, meidet souverän jede Klischeeklippe und kleidet beeindruckende Vielschichtigkeit in unaufgeregte Bilder. Ja, Anne braucht dringend Hilfe, doch sie ist kein böswilliges Monster, man fühlt, wie ihre Welt aus den Fugen bricht, sich die verzweifelte Wut aufstaut, wenn Georg unzählige Male diesen primär hilflosen, aber auch dummen und eben überhaupt nicht tröstenden Satz bringt: "Ist doch kein Drama!" Für Anne schon. Da sollten gemeinsam Lösungen gesucht anstatt alles totgeschwiegen werden, um das ramponierte Zusammensein bloß nicht noch mehr zu belasten, es zusätzlich jedem recht zu machen, den Schein zu wahren. Beide Partner sind damit überfordert. Eine fatale Spirale, in ihrer Drehung unaufhaltsam.

Der wackeligen Handkamera hätte es dabei als Realismus verbreitendes Stilmittel gar nicht bedurft. Schon allein Annes und Georgs Wohnung, dieses düstere Plattenbaukonstrukt mit den engen Zimmern, schreit auf den ersten Blick: Das ist kein Platz zum glücklichen Leben, hier muß es irgendwann zum großen Knall kommen. Man hört ihn noch nach dem Abspann.

D 2007, 96 min
Verleih: W-film

Genre: Drama

Darsteller: Victoria Trauttmansdorff, Matthias Brandt, Wotan Wilke Möhring, Susanne Bormann, Anna Brass

Stab:
Regie: Jan Bonny
Drehbuch: Jan Bonny

Kinostart: 11.10.07

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...