1 Bewertung

Gegenwart

Was aus uns wird – ein Ablauf

Am Anfang rieselt Schnee. Der eine oder andere wird vielleicht meinen, davon dieses Jahr schon genug gesehen zu haben, dennoch ist es das perfekte Bild, um in einen winterkalten Dokumentarfilm einzusteigen, der von unser aller Endstation erzählt. Thomas Heise, einer der ganz großen und wohl fleißigsten Film-Dokumentaristen der letzten Jahrzehnte, zeigt unkommentiert und vollkommen ungeschönt den Arbeitsalltag eines mittelständischen Krematoriums zwischen Heiligabend und Neujahr. Die Maschinerie steht nie still, genauso wenig wie die Mitarbeiter, die im Streß über die Feiertage allesamt trotz Ofendauerbefeuerung einen kühlen Kopf bewahren müssen. Denn gestorben wird bekanntlich immer und über den Jahreswechsel um Dachsenhausen im Rheinland sogar so viel, daß sich die Särge nur so in den Vorräumen stapeln.

Am Anfang fühlt man sich als Zuschauer schon ziemlich allein gelassen, wenn man einen Maurer mit Glatzkopf im Thor-Steinar-Shirt einen Schornstein reparieren sieht, in den er sich vorher wie in eine winzige Grabkammer hineinzwängen muß. Doch nach und nach nimmt einen die wie ein Uhrwerk ablaufende Arbeitsroutine der Männer und Frauen im Krematorium gefangen, man ist gefesselt vom „einfach nur zuschauen“ und versteht, je mehr man vom Prozeß des Leichenverbrennens mitbekommt, auch die Bilder, die zunächst ohne Kontext unzugänglich waren. So erschließt sich etwa die besondere Arbeit der am Anfang gezeigten Putzkolonne erst so recht, hat man das später am Pfeiler der Lagerhalle befestigte Schild gelesen, auf dem vermerkt ist, wie die „aus den Särgen austretenden Flüssigkeiten“ am besten zu beseitigen sind, ohne den Fugenkitt der Fliesen zu belasten.

Dieses Auge fürs Detail verlangt der Film einem ab, belohnt wird man aber mit Einblicken in eine wirklich faszinierende eigene Welt, die weitab von der Düsterromantik manches morbide gestimmten Friedhofstouristen ungefiltert zeigt, was eine auf wirtschaftliche Effizienz gedrillte Gesellschaft mit ihren Toten macht: entsorgen. Denn Tod ist knallharter Alltag. Und auch ein Geschäft. Kein schönes, aber ein offenbar florierendes. Weil dieser Film Letzteres mit seiner Tabuthematik und kompromißlosen Form kaum verspricht, sei er hier deshalb umso mehr ausdrücklich empfohlen.

D 2012, 65 min
FSK 12
Verleih: Real Fiction

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Thomas Heise
Drehbuch: Thomas Heise

Kinostart: 16.05.13

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...