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Gnade

Leben mit Schweigen

Es ist kein Knall, eher ein dumpfer Schlag. Maria stoppt ihren Wagen, sieht in den Rückspiegel, doch sie erkennt nichts. Das Licht ist diffus, es liegt hoher Schnee. Die Krankenschwester kommt von einer Doppelschicht – vielleicht hat sie sich nur getäuscht. Vielleicht ist es aber auch ein Reflex der Angst.

Tage später wird sich zeigen, daß die Angst berechtigt war. Maria hat ein Mädchen aus dem Ort angefahren und verletzt. In der eiskalten Nacht ist es erfroren. Maria kennt die Eltern, denn dort in Hammerfast, 1000 Kilometer überm Polarkreis, kennen sich alle. Maria ist mit ihrem Mann Niels und dem 9jährigen Sohn Markus vor Monaten von Deutschland nach Norwegen gezogen. Es sollte eine zweite Chance sein für das Paar, für die Ehe, die Gemeinsamkeit als Trio. Die wievielte eigentlich? Und jetzt das. Was wird mit dieser Familie geschehen sein, wenn die Tage wieder länger sind? Noch immer Schweigen, Lügen, mit der Schuld leben, nach Erlösung suchen, darüber zueinander finden?

Natürlich ist die polarumnachtete Szenerie für Regisseur Matthias Glasner eine Allegorie. Eine von vielen. Wie der Titel GNADE, der Name der weiblichen Hauptfigur, ihre Arbeit im Hospiz, das Singen im Chor, wie die Affäre, aus der sich Niels etwas Hitze zieht, um sich lebendig zu fühlen. Auch Sohn Markus bekommt ein eher kommentierendes Eigenleben. Die Allegorien werden aber nie zur Last. Glasner inszeniert die Handlung (nach einem Drehbuch des Dänen Kim Fups Aakeson) mit grandiosen Bildern, phänomenalen Schauspielern und einem mutigen Schub Hoffnung.

Zeitig fällt jener lange Satz, dem Birgit Minichmayr eine atemlose, zehrende Nachhaltigkeit verleiht, die nur wenige spielen können. Als Niels zur Polizei und einfach nur ehrlich sein will, sagt Maria: „Ich werde immer die sein, die das Mädchen liegen und sterben hat lassen, und du wirst immer der Mann von der Frau sein, die das Mädchen liegen und sterben hat lassen, und Markus wird für immer der sein, dessen Mutter das Mädchen überfahren hat und sterben hat lassen.“

Es wird nicht nur dieser eine Satz sein, der von GNADE lange Zeit in lebhafter Erinnerung bleibt, es ist der gesamte Film, der zugleich Matthias Glasners „filmischster“ ist und nach dem Vergewaltiger-Drama DER FREIE WILLE wie eine Befreiung wirkt.

D/Norwegen 2012, 131 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Drama

Darsteller: Birgit Minichmayr, Jürgen Vogel, Henry Stange, Ane Dahl Torp, Maria Bock, Stig Henrik Hoff

Regie: Matthias Glasner

Kinostart: 18.10.12

[ Andreas Körner ]