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Gomorrha

Die Geschichte von Don Francos Lächeln - ein Meisterwerk von analytischer Schärfe

Einmal ist Franco, der joviale Geschäftsmann, der immer die Fassung bewahrt, immer charmant und höflich lächelt, der immer mit der beiläufigen Selbstverständlichkeit eines kultivierten Mannes agiert, der es gewohnt ist, Befehle zu geben; einmal ist dieser Franco wütend. Kurz nur, für die Dauer einer Standpauke, die er seinem Schützling Roberto hält. Männer wie er, Franco - blafft da der Alte den Jungen an - Männer wie er, hätten dieses Scheißland Italien doch erst nach Europa gebracht. Männer wie Franco. Und dieses Scheißland, Italien.

In GOMORRHA, Matteo Garrones Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Roberto Saviano, gibt es viele Szenen, die gallebitter sind. Aber in jenem Moment, in dem Franco, der es mit der illegalen Entsorgung hochgiftigen Mülls zum Millionär brachte, die moralischen Bedenken Robertos, mit der simplen, zynischen Wahrheit wegätzen will, komprimiert sich alles, wovon der Film in seinen 135 Minuten erzählt.

Ein Film über die Camorra. Ein Film über ihre Struktur, ihr Wirken, ihre Allmacht. Fünf semifiktionale Geschichten im semidokumentarischen Stil. Da ist der dreizähnjährige Totò, der zwischen die Fronten einer Clan-Fehde gerät. Da ist der Mafia-Buchhalter Don Ciro, der wie ein Schatten durch Neapels Armenviertel schleicht, bekleidet mit einer kugelsicheren Weste und zerfressen von Angst. Da ist Pasquale, der talentierte Schneider in einer kleinen Firma, der gerne mehr Geld mit seinem Können verdienen möchte und sich damit in Lebensgefahr begibt. Da sind die zwei Freunde Marco und Ciro. Junge, lebenshungrige Kerle, die glauben, mit den richtigen Waffen, läßt sich selbst das Glück auf ihre Seite zwingen. Und schließlich ist da Franco, der erfolgreiche Unternehmer aus der Müllentsorgungsbranche.

Fünf Haupterzählstränge, lose verknüpft und mit zahllosen Nebenfiguren zu einem Fresko aus Gewalt, Korruption und Hoffnungslosigkeit verfügt. Garrones Film zeigt das kalt registrierend. Unter dieser Kälte allerdings zittert die Wut. Über die Rituale eines durch und durch stupiden Machismo, die Selbstgefälligkeit der Paten, die hemmungslose Brutalität ihrer Handlanger. Über eine allgegenwärtige Amoralität, die sich als kulturelle Mentalität empfindet.

An den Kriminellen in GOMORRHA ist nichts imponierend. Nichts hat hier die schillernde Gangster-Pose, die Faszination des Gesetzlosen, wie man sie in einschlägigen Genrestücken oft geboten bekommt. GOMORRHA macht ernst. GOMORRHA ist von einer analytischen Schärfe, wie man sie seit den klaren, ziselierenden Filmen Francesco Rosis (LUCKY LUCIANO, WER ERSCHOSS SALVATORE G.?) nur selten gesehen hat.

Ein Film, der für das, was er alles zeigt, selbst mit seinen über zwei Stunden Spiellänge zu kurz ist. Famos: das ungehobelte, aufgeraute der Kamera, die Authentizität der Schauspieler. Und wie Garrone es schafft, einem das Gefühl zu vermitteln, mitten im Geschehen zu sein und diesem gleichzeitig aus der Distanz folgen zu können.

Konzessionen ans Publikum sind dabei nicht nötig. In GOMORRHA gibt es keine Sympathieträger, kein Mitfühlen, keine gefällige Dramaturgie. Dafür gnadenlose Konsequenz. Da muß als kleiner Hoffnungsschimmer reichen, daß Roberto Franco einfach stehen lässt. Für zwei Sekunden verschwindet Francos Lächeln, bevor es wieder erscheint. Die Geschäfte warten schließlich nicht.

Originaltitel: GOMORRA

I 2008, 135 min
Verleih: Prokino

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Toni Servillo, Maria Nazionale, Gianfelice Imparato, Salvatore Cantalupo

Regie: Matteo Garrone

Kinostart: 11.09.08

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.