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Good Bye, Lenin!

Betörende Rückkehr Wolfgang Beckers mit einem urkomischen und berührenden Geniestreich

Fast sechs Jahre hat’s gedauert! Sechs lange, dunkle Jahre - nach dem fulminanten DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE - bis Wolfgang Becker endlich seine Stimme wieder hob. Sechs einsame Jahre stilles Warten auf die Züge einer Handschrift, die dem deutschen Kino so unendlich gut stand, die so richtig gut tat. Doch nun meldet sich Becker wieder zurück. Und wie!

Er hat in seiner kreativen Pause nichts, aber auch gar nichts, davon verlernt, wie man skurrile Geschichten schräg, witzig, gefühlvoll und mit einer bauchwärmenden Tiefe erzählt. GOODBYE, LENIN! ist eine fabelhafte Rückkehr. Mindestens.

Alex lebt mit Mutter und Schwester Ariane in Berlin, im Osten. Der Vater verließ die Familie in Richtung Westen, die Mutter verlor darauf kurz den Halt und fand sich schließlich in engagierter Bürgerarbeit mit dem Formulieren zackiger Eingaben und beim Aufrechterhalten einer lebenswerten DDR wieder. Doch dann beginnen nach Leipzig auch in Berlin die Demonstrationen, und die recht linientreue Mutter erleidet einen Herzinfarkt. Sie liegt fast acht Monate im Koma, wacht dann endlich auf, darf das Bett aber keinesfalls verlassen. Mittlerweile hat sich das Rad der Geschichte weitergedreht, das ostdeutsche Volk jubelt einem beleibten Kanzler zu, die Bonzen sind auf einmal krank oder mitunter auch im Knast, in Kürze hält die D-Mark ihren Einzug.

Die geringste, aber auch wirklich die allergeringste Aufregung würde für Alex’ Mutter den sicheren Tod bedeuten, so sagt der Arzt. Daher müssen Alex und Ariane alles dafür tun, daß Mutter den Systemwechsel nicht mitkriegt. Vorerst soll sie den Glauben haben, alles sei wie früher, die Partei hat noch immer recht, der Sozialismus galoppiert weiter mit stolzgeschwellter Brust gegen imperialistische Aggressoren. Also muß in der Wohnung schnellstens alles so sein wie damals. Alex und Ariane bauen die DDR wieder auf, immerhin auf einem Areal von 79 qm. Jetzt geht für Alex der Streß richtig los. Die Mutter sehnt sich nach Spreewälder Gurken, im neuen Supermarkt stehen aber nur Gurkengläser aus Holland, Restbestände von DDR-Artikeln findet Alex in fluchtartig verlassenen Wohnungen von Staatstürmern. Nun will Mutter aber auch noch fernsehen. So läßt Alex mit Hilfe seines pfiffigen Kumpels Denis die schnittigen Moderationen der Aktuellen Kamera wieder aufleben. Es funktioniert prima, die Pioniere singen am Krankenbett und Mutter genest zufriedenstellend. Doch bald könnte die DDR-Blase platzen ...

Herrlich irrsinnig, was Becker alles auffährt für den Rausch der Illusion, wunderbar komisch, an welche Details der Westfale alles denkt! Beeindruckend ist aber vor allem, mit welcher Leichtigkeit ihm auch der geschickte Wechsel von Komik und dramatischen Momenten gelingt. Das ist die Stärke Beckers. Ihm ist wenig an witzigem Klamauk gelegen, vielmehr interessiert er sich für seine Figuren, verleiht ihnen Charakter, fügt Kratzer und Kanten hinzu, gibt ihnen echtes Leben. Mit einem sicheren Händchen für urkomische, bewegende und lakonische Töne ist Becker einigen britischen Kollegen ebenbürtig.

Und auch die ausnahmslos fabelhaften Schauspieler machen diesen großartigen, diesen besonderen Film zu etwas Unvergeßlichem. Zu etwas Unverzichtbarem. Ohne den Becker würde echt was fehlen!

D 2002, 120 min
FSK 6
Verleih: X Verleih

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Daniel Brühl, Katrin Saß, Florian Lukas, Maria Simon, Chulpan Khamatova, Alexander Beyer, Michael Gwisdek

Regie: Wolfgang Becker

Kinostart: 13.02.03

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.