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Hangtime

Müde Rebellen im schläfrigen Hagen

Keine Frage, sie sind wichtig, all diese Erbauungsgeschichten aus dem Reich des Teenage. Nur sind die wenigstens davon auch gelungen. Zumindest unter denen aus der Heimat – da bleiben überzeugende Filme, die sich der Suche nach Identität, Halt und Orientierung widmen, eher die Ausnahme. CRAZY von Hans-Christian Schmid gehört dazu, MEER IS NICH von Hagen Keller auch, HANGTIME von Wolfgang Groos eher nicht. Woran liegt’s? Wahrscheinlich an der Verstiegenheit Groos’, einfach viel zu viel und viel zu undistanziert zu erzählen. Allein das nimmt schon der nicht reizlosen Geschichte die Luft und dem Betrachter das Interesse.

Los geht’s mit diesen abgestandenen Retro-Bildern, die Vergangenes und Echtheit suggerieren sollen. Großer Bruder, kleiner Bruder auf dem Basketball-Platz, die sattsam bekannten Sticheleien, noch dazu der Griff in einen staubigen Requisitenfundus, der dazu führt, daß der kleine Vinz glaubwürdig rüberkommt, sein großer Bruder Georg aber aussieht wie ein ostdeutscher Autohändler ganz kurz nach der Wende. Dabei ist diese Momentaufnahme gerade einmal zehn Jahre her. Eine traurige Szene im übrigen, denn die Jungs kommen heim und erfahren von einem schrecklichen Unfall. Ab sofort sind sie auf sich gestellt, Georg mit der Erziehung überfordert, seine eigene Sportkarriere geht den Bach runter, und schon deshalb – nun zehn Jahre später im Jetzt und Hier – gibt er alles, um Vinz auf Erfolg zu trimmen. Was nicht gut gehen kann, da der Halbwüchsige einen eigenen Kopf hat und so ein bißchen strebermäßig nach einem Stipendium an einer US-Hochschule schielt. Vinz kann und will dem Druck durch Sportscouts, 1.Liga-Aussichten und dem übergroßen Ego seines Bruders nicht standhalten. Letztendlich aber wollen beide trotzdem das Gleiche – einfach weg, raus hier, Hagen sucks ...

An sich also eine Geschichte mit den richtigen Zutaten und trotzdem nur würzloser Quark. Weil nicht nur Hagen öder Durchschnitt ist, die Figuren in HANGTIME sind es auch. Im Kino braucht man – bei allem strapazierten Echtheitsanspruch – auch Überhöhung, ein bißchen Glanz, sonst kommen Sympathie und Identifikation nicht in die Gänge. Ganz im Ernst: Vinz ist nett, Georgs Wut verständlich, die Freunde der beiden passen wunderbar ins Sidekick-Raster, wo aber bleibt das Spannende, das Unvorhersehbare, das Verrückte? Daran fehlt es nämlich gänzlich. Hier ist alles gut gemeint, aber nicht besonders gut gemacht. Weil es auch an Humor mangelt. Nur ganz selten blitzt davon mal etwas durch. Wenn Ali, einer von Vinz’ Freunden mit Migrationshintergrund (muß sein!) einen Finger auf putzige Weise verliert, und wenn die Jungs über dieses graue Hagen philosophieren, diesen Hort von HartzIV-lern, Fabrikarbeitern und Russen. Oder wenn an der Autobahn „Frankfurt-Stadtmitte“ ausgeschildert ist ...

Und daß Groos seinem Film selbst nicht vertraut, sieht man doch deutlich daran, daß er versucht, den Kahn aufzumotzen: mit ach so hipper Clipästhetik, den ewigen Weißblitzen in den Bildern und dieser nach Stimmung heischenden Musik. Und nicht zuletzt durch die arg müde Rebellion seiner durchtrainierten Hauptfigur, die sich darin erschöpft, daß Vinz einmal ganz grimmig sein Handy in den Main wirft. Diesem filmischen Hungerhaken stehen ermüdende, da ewig lange Sportszenen und das viel zu niedliche, immergleiche Katzengesicht des Hauptdarstellers zur Seite. Und so bestätigt sich der Pauschalverdacht, daß noch schlimmer als Sportler im Interview Sportskanonen im Film rüberkommen. Rocky jetzt mal ausgenommen ...

D 2009, 94 min
Verleih: 3L

Genre: Erwachsenwerden, Drama

Darsteller: Max Kidd, Misel Maticevic

Stab:
Regie: Wolfgang Groos
Produktion: Sönke Wortmann

Kinostart: 15.10.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.