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Happy Rutsch

Mütterchen Rußland, Papa Medwedew und das, was alle gern sehen

Die Theorie der sechs Händedrücke mag absurd scheinen, birgt aber weit mehr Wahrheitsgehalt als, sagen wir mal, die Mantras vom wissenschaftlichen Kommunismus oder übererfüllten Fünfjahresplan. Wer jetzt jung genug ist, um nicht zu wissen, was genau das ist, kann beruhigt werden: ist nicht wirklich wichtig. Nur eine alberne Anspielung auf jenes Land, das sich als erstes der Erde an Kommunismus und somit Fünfjahresplänen versuchte, inzwischen aber wieder anderen Werten frönt. Etwa der Sechs-Händedrücke-Theorie.

Die besagt, daß jeder Mensch jeden beliebigen anderen Menschen auf der Welt, wie populär und berühmt auch immer, durch eben sechs Bekannte oder Bekannte eines Bekannten kennenlernen kann. Womit auch diesem kleinen Mädchen in dem russischen Kinderheim zu helfen ist. Gerade am letzten Tag des Jahres wird die mal wieder arg dafür gehänselt, daß sie keinen Papa hat. Natürlich habe sie den, lügt sie hübsch trotzig. Nur, daß der eben viel zu tun habe. Schließlich ist er der Präsident des Landes. Sagt es und sitzt in der Klemme. Denn natürlich wird ein Beweis verlangt. Ein bestimmter Satz, den der liebe Herr „Papa“ Medwedew in seiner Neujahrsansprache sagen soll.

Alles klar? Sechs Händedrücke, 90 Filmminuten. Darin neun ineinander verwobene Geschichtchen, die sich als putzige Lustigkeit durch die verschiedensten Städte Rußlands bis zum Kreml-Finale ziehen. Das zuckert dann nicht nur sentimental, sondern auch patriotisch. Eine Kombination, für die man etwas Toleranz mitbringen sollte. Andererseits ist HAPPY RUTSCH ja ein reines Produkt russischen Volkswillens. Dieser nämlich wurde von den Produzenten im Vorfeld erkundet. Mit einem landesweit verbreiteten Ruf ans Volk, das Geschichten schicken solle, die, so verkündet es die Presseinfo, „alle Menschen gern sehen würden.“ Und auch die Entscheidung, welche dieser Geschichten letztlich Eingang in den Film fanden, wurde „vom Volk getroffen.“

Mütterchen Rußland also als Drehbuchautorin und Timur Bekmambetov als Regisseur (und einer der volksnahen Produzenten) – kann da was schief gehen? Und ist HAPPY RUTSCH jetzt eigentlich ein Produkt der Volks- oder Marktwirtschaft? Versöhnen sich gar ganz weihnachtlich Ideen, die bisher als unversöhnlich galten? Wie auch immer: Diese russische Heiterkeit sieht nicht wirklich anders aus als vergleichbare aus Hollywood. Und ein Volksfeind ist man nicht zwangsläufig, wenn einen das nur mäßig amüsiert.

Originaltitel: YOLKI

Rußland 2010, 90 min
Verleih: GV World

Genre: Komödie, Episodenfilm

Darsteller: Kristina Asmus, Dato Bakhtadze, Vera Brezhneva

Regie: Timur Bekmambetov

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.