Originaltitel: HOT MILK

GB 2024, 92 min
Verleih: MUBI

Genre: Drama

Darsteller: Vicky Krieps, Emma Mackey, Fiona Shaw, Vincent Perez

Regie: Rebecca Lenkiewicz

Kinostart: 03.07.25

Hot Milk

Die Freiheit der Anderen

Manchmal kann man Bilder riechen. Wie diese hier aus dem Süden Spaniens, vom eher schmucklosen Ort Almería, wo einem schnell der Geruch von rostenden Fenstergittern, schweren Fähr- und Containerschiffen und ranzigem Frittieröl aus klapprigen Chiringuitos in die Nase steigt. Hier verspricht sich Rose Heilung, die Irin verweilt in Begleitung ihrer Tochter Sofia, ein nobel residierender Heiler wittert und verspricht Chancen, denn es soll ein letzter Versuch sein, nachdem Rose seit vielen Jahren von Schmerzen geplagt wird und auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter toxisch zu nennen, wäre wohl zu mild, es ist in jedem Fall ein zermürbendes Miteinander, Rose ist passiv-aggressiv, sie dirigiert ihr Kind, sie flucht, äußert sich misandrisch, manipuliert und stellt merkwürdig bedrängende Fragen: „Wann wirst Du heiraten?“ Zudem stellt sie Sofia bei jeder sich bietenden Gelegenheit bloß, das ausgesetzte Studium wird erwähnt, als es um eine mögliche Heimkehr in ihr gemeinsames Haus geht, donnert die Vergrämte: „Mein Haus!“

HOT MILK erzählt vorerst von familiärem Ausnahmezustand, zitiert Klassiker aus der Psychologie, wozu gehört, daß die Mutter nicht selten einem Kind auch Freiheit, Jugend und Schönheit neidet. Und schön ist Sofia zweifelsfrei, daher zieht sie auch den Blick der urplötzlich am Strand auf einem Pferd erscheinenden Ingrid auf sich. Sofia fühlt sich ebenso hingezogen, denn Ingrid verströmt all das Libertäre, Unangepaßte und Lebenswilde, das Sofia in ihrem Leben gerade vermißt. Ein „Rauchst Du?“ bricht das Schweigen, aus Sofia und Ingrid werden Liebende, aber auch Teilende, denn an Ingrids Seite taucht plötzlich ein Matty auf, der wiederum auch nicht der letzte Mann sein wird. Reizvoll ist die Annäherung der beiden Frauen, kleinere philosophische Exkurse über das Wiederkehrende im Leben und die Himmelsfarbenklärung zwischen Blau und Cyan eingeschlossen, und doch schleichen sich Muster in diese schnell launenhafte Beziehung, die sehr an das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sofia und Rose erinnert.

Rebecca Lenkiewicz' Film, ein Debüt wohlgemerkt, verlangt dem Zuschauer durch Aussparungen und Andeutungen einiges ab, die Figuren bleiben oft schwer greifbar, aber dieses „System“ des Erzählens ist gut gewählt, denn familiäre Geheimnisse allerorts plaudert man nicht en passant aus, sie gehören behutsam entblättert, vom Zuschauer teils selbst dechiffriert.

Bisweilen scheint HOT MILK mehr Essay als klassische Erzählung über Schuld und Unschuld, über Wut und Selbstekel, über die Frage, wieviel Schmerz ein Mensch eigentlich aushält. Man wird daher auch Rose besser verstehen, durch die Ruinen ihrer Vergangenheit schreiten, und auch das Monströse in Ingrids Freiheitsbegriff erschließt sich auf klug erzählten Umwegen. Und indem sich alle Figuren fortlaufend ihrer Existenz versichern müssen, sind die klaffenden Wunden aus Scham und Enttäuschung bald unübersehbar.

Auffällig auch: Männer nehmen in HOT MILK keinen größeren Raum in Beschlag, Matty und der Heiler sind Staffage, und die Geister aus dem Gestern schweben über allem, denn sie sind der Grund für den Zorn in den Gesichtern, das Verletzende in den verbalen Entgleisungen, die späten Tränen auf müden Wangen. Tiefe Rührung dann auch beim Zuschauer, wenn sich das Flehen Sofias nach einem mütterlichen Bekenntnis für ein Weiterleben hemmungslos Bahn bricht ...

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.