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I Love Beijing

Metropolis in China - ein Großstadttraum(a)

Charles Chaplin beschwor es in MODERNE ZEITEN ironisch herauf, das Bild vom Zahnrädchen Mensch in einer unermüdlich malmenden Zivilisationsmaschinerie. Fritz Langs METROPOLIS ging einen demonstrativen Schritt weiter und rief: die Industrialisierung frißt ihre Kinder! Mittlerweile ahnen wir, wie nah diese Bilder an der gelebten Realität liegen.

Diktierter Rhythmus, abgesteckter Wirkungskreis des funktionalisierten Individuums, Verlorensein im übergroßen Ganzen - Regisseurin Ning Ying streift durch das moderne Leben, am perfekten Beispiel einer Boomstadt, läßt den Protagonisten kleine, wiederkehrende Kreise ziehen in der übergestülpten Großstadtroutine. Dezi ist Taxifahrer in Beijing. Er hat sich gerade scheiden lassen, kann nicht gut mit Frauen umgehen. Wirklich nicht. Aber Dezi liebt Frauen, er mag es, sie zu umgarnen, kennenzulernen, um wieder in die Sackgasse zu geraten. Er tritt auf der Stelle, alles um ihn bewegt sich in atemberaubendem Tempo, alles wird größer und schneller, doch nichts wird gut für ihn. Seine Familie fordert viel, die Frauen laufen ihm davon, und die Arbeit kostet ihn mehr, als sie einbringt - zumindest als er sein altes Taximodell für viel Geld gegen ein schnelleres, moderneres eintauschen muß. Alkoholexzesse, Bandenrivalitäten, Zechpreller und Suizid einer Freundin - Dezi kennt zwar Beijings Straßen aus dem FF, doch einen Plan zu seinem eigenen Leben hat er noch nicht. Etwas muß geschehen.

Die gefeierte chinesische Regisseurin Ning Ying zeichnet ein staubig-gelbes Bild von der Megastadt. Unter der futuristisch anmutenden Sattheit verbirgt sich die verwundete Seele einer Kultur, die zusehends aus dem Gleichgewicht gerät. Tradition und Familienwerte können den Gesetzen des Marktes und der Emanzipation einer sich frei schwimmenden Jugend nur wenig entgegensetzen. Es gilt neue Wege zu finden, doch wo sind die Nischen in einem atemlosen Moloch? Wo endet Funktionalität, beginnt das ersehnte Leben?

China mag weit entfernt sein, doch die schleichende kulturelle Verwelkung ist es nicht. I LOVE BEIJING entfaltet sich zur magnetischen, visuell betörenden Sinnsuche - vor den Augen der hoffentlich zahlreichen und beunruhigten Zuschauer.

Originaltitel: XIARI NUANYANGYANG

China 2001, 97 min
Verleih: Kairos

Genre: Drama

Darsteller: Yu Lei, Zuo Baitao, Tao Hong

Regie: Ning Ying

Kinostart: 25.07.02

[ Roman Klink ]