Originaltitel: IMAGINE

F/GB/Polen/Portugal 2012, 105 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie, Poesie

Darsteller: Edward Hogg, Alexandra Maria Lara, Melchior Derouet

Stab:
Regie: Andrzej Jakimowski
Drehbuch: Andrzej Jakimowski

Kinostart: 02.01.14

2 Bewertungen

Imagine

Schließe die Augen und lerne sehen

Der Vorspann läuft. Offensives Hecheln ertönt. Ein wuscheliger Hund kommt ins Bild, später dann Ian, junger Lehrer, berufen nach Lissabon, an eine weltberühmte, aber eher konservative Augenklinik, wo er mit sehbehinderten Jugendlichen arbeiten soll. Die Frage der umsichtigen Schwester, ob er ein Zimmer mit Ausblick bevorzuge, kann man wahlweise nett gemeinte Ignoranz oder profundes Einfühlungsvermögen nennen, denn auch Ian ist blind.

So beginnt also dieser Film, welchen Regisseur Andrzej Jakimowski nach seinem Sommerwunderwerk KLEINE TRICKS gedreht hat. Und hier wie dort erweist sich Jakimowski als emotionale Spielernatur, denn erneut setzt die Hauptfigur diverse Kniffe ein, um ein höheres Ziel zu erreichen. In diesem Fall möchte Ian, der selbst auf übliche Orientierungs-Hilfsmittel verzichtet, seinen Schützlingen Unabhängigkeit zeigen, die Abkehr von gängigen Gewohnheiten und festgebrannten Regeln. Da landen sie schon mal mitten im Rosenbeet, doch Opfer muß man halt bringen. Was wiederum das Interesse der deutschen Patientin von nebenan weckt. Sie geht eigentlich nie raus, hat schon lange ihren verräterischen Stock zerbrochen und igelt sich ein, weil sie endlich der ungebetenen Hilfe Außenstehender entkommen wollte, dem Rupfen und In-die-vermeintlich-richtige-Richtung-Zerren, das letztlich bloß dazu dient, die gute Tat für den aktuellen Tag abhaken zu können. Eva heißt das ätherische Geschöpf, welches zögerlich entscheidet, Ian komplett zu vertrauen.

Jakimowskis Mittel der Handlungserzählung? Auf jeden Fall kein Betroffenheitsgesülze, sondern Entschleunigung, Reflexion und Umkehr. Er wirft – ungeachtet sorgfältiger Bildsprache – uns, dem sehenden Publikum, die visuelle Ungeduld, das Verlangen nach immer neuen Reizen vor die Füße und ins Gesicht. Durch Prioritätenverschiebung hin zu ausgeklügeltem Sounddesign, verspielter Musik und beiläufig ins Ohr geschossenen Sticheleien: „They Look, But They Don’t See!“ Ians Vorgesetzte wiederum stehen für zwar irgendwie verständliche, gar menschliche, aber hauptsächlich überholte Wichtigtuerei und das Festhalten an verkrusteten Strukturen. Letztere haben sie gemeinschaftlich schon derart in den jungen Patienten manifestiert, daß jene gemeine Streiche aushecken, um zu beweisen: Ein trotz Handicap so selbstsicher sein Leben meisternder Mensch kann nicht blind sein. Wie der Lehrer ihnen schließlich absolut überzeugend das Gegenteil beweist, wäre in einem Horrorfilm bestens aufgehoben ...

Alles zusammengenommen, lotet Jakimowski ergo nicht nur dann Ians Fallhöhe aus, wenn dieser in ein Loch stürzt. Eva hingegen mag sich angesichts der unorthodoxen Methoden im Laufe der Zeit mehr öffnen, regelrecht erblühen, und sie lernt endlich, ihren innigsten, vollkommen nachvollziehbaren Wunsch in die Tat umsetzen zu können. Nämlich als Frau wahrgenommen zu werden. Und erneut sind es manchmal auch kleine Tricks, die Ian einsetzt, um dabei unterstützend zu Hand, Hirn und Herz zu gehen.

Apropos: Daß man mit dem Herzen besser sieht, ist da nun tatsächlich keine bahnbrechend neue Botschaft – aber eine unverändert wahre. Folgerichtig widmet Jakimowski dieses Kleinod spröder Magie seiner Gattin Ewa. Eine schönere Liebeserklärung hätte er ihr kaum machen können.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...