Originaltitel: IRRATIONAL MAN

USA 2015, 95 min
FSK 12
Verleih: Warner

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Parker Posey

Regie: Woody Allen

Kinostart: 12.11.15

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Irrational Man

Meisterliche Ballade über Scheinmoral und Giftmischerei

Das muß man Woody Allen einfach lassen: Hat doch mancher ihn nach ein paar mäßigeren, dabei noch immer weit über den kinokomödiantischen Durchschnitt herausragenden Filmen bereits abgeschrieben, kommt er mit einem Ding ums Eck, das zum einen die Abwinker besänftigt und zum anderen subtilen Witz und Hochspannung auffährt und dabei in seiner Grundrichtung durchaus an den genialen MATCH POINT erinnert. Gut, MATCH POINT bleibt dann doch unerreicht, aber Woody Allens 46. (!) Film ist eine feinsinnige, wie immer mit herrlichen Pointen geschmückte, bestens besetzte und kurz vor Schluß doch noch überraschend drehende Ballade über die Moral. Oder deren Schein. Und darüber, wie schnell sie flöten geht.

Ausgerechnet Abe Lucas, ein ziemlich abgeranzter Philosophieprofessor, hält es mit Kant, nach dem in einer moralischen Welt kein Platz für Lügen sei. Dabei ist der schmerbäuchige Abe sein ganz privater Lebensschwindel auf zwei Beinen: dem Frohsinn eher abgewandt, die Geschichten vom potenten Studentinnenverführer sind mittlerweile meist anekdotisch, den Flachmann trägt er hinterm Revers. Er tritt eine neue Stelle an, die Studentinnen bestaunen noch immer seinen ausgebrannten Look, es ist nun aber eher eine vereinsamte Kollegin, die sich ein wenig an ihn ranschmiert. Zum Mißfallen der Studentin Jill, die sich dann doch zu Abe hingezogen fühlt. Als es – gut, ein wenig passendes Bild – hart auf hart kommt, versagt der Ausgebrannte, indem er keinen mehr hochkriegt. Ausgerechnet er also, der über das eigene Fach von verbaler Masturbation spricht, kriegt weder einen Ständer noch das x-te Buch über Heidegger und den Faschismus zu Ende.

Und wie es der Allensche Restaurantzufall will, werden Abe und Jill Ohrenzeugen, als sich eine heulende Frau über richterliche Ungerechtigkeit beschwert, nach der sie das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren könnte. Beide sind empört, grobskizzieren Szenarien, wie es der armen Frau besser ginge, mit einem kleinen, feinen Unterschied: Abe schöpft aus der Situation frischen Lebensmut, sein Dasein erfährt einen ganz neuen Sinn, die Schreibblockade löst sich, und auch mit der Potenz geht es – nun ja, aufwärts. Dazu reicht ganz einfach ein Feindbild namens Thomas Augustus Spengler, der erwähnte Scheidungsrichter. Abe könnte mit dessen Eliminierung nicht nur einer unschuldigen Frau ein glücklicheres Leben ermöglichen, es gäbe eine Kakerlake, ein Krebsgeschwür weniger. Kurz darauf sehen wir Abe, den Richter und einen merkwürdigen Becher Kaffee auf einer Parkbank ...

Hier vermischt sich kühn allerhand Küchenphilosophisches und Hannah-Arendt-Wahrhaftiges, und wie Woody Allen es noch immer schafft, Sympathien für schräge Vögel und halbseidene Ideen auszulösen, bleibt unerreicht, da Allen bei aller bewußten Dialoglastigkeit eben kein Schwätzer ist: Er ist der Meister der Verknappung, der Punktsätze, er ist noch immer ein Genie, wenn es um das Auslegen von und das Reinlatschen in Fallen geht, wenn im Griff geglaubte Situationen entgleisen, wenn aus derangierter Gutmenschelei eine Schnapsidee und schließlich ein handfester, aber eigentlich nicht ganz übler Mord wird.

Bei Allen sitzt jedes Bild, da paßt der Jazz zum Schwung einer Giftmischerlabortür, da schimmert viel Wahres durch, wenn sein Antiheld über die Mittelmäßigkeit und Passivität des modernen Menschen reflektiert. Ein dramaturgisch raffiniertes, wie von einem akribischen Buchhalter geplantes Puzzlespiel – eben ähnlich wie in MATCH POINT – hält Allens neuester Film parat, und Joaquin Phoenix spielt im Prinzip zwei gegensätzliche Charaktere, wobei der an sich sympathischere, weil aktivere, durchaus selbstbesoffen von einer Ästhetik des perfekten Verbrechens träumen darf. Um kurz darauf im Fahrstuhl alpzuträumen ...

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.