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Japón

Duell mit einem feindseligen Regiekonzept

Dieser Held hat keinen Namen. Er ist unterwegs im mexikanischen Hochland und daher vorläufig ohne feste Adresse. Man kann ihn nicht aufsuchen und fragen, was ihn mit Japón, wie der Mexikaner Japan nennt, verbindet - nur eine erste von vielen Herausforderungen zum Verstehen. Und wenn man die Weltkarte nun ein bißchen dreht, neigt und faltet, dann könnte doch ... ? Falsch. "Filmtitel sind oft zu beschreibend, sie sollten mehr assoziativ sein" - versuchen wir es mit der eigenwilligen Theorie des Regisseurs und vergegenwärtigen uns eine Art mexikanisches Harakiri, denn der Namenlose kam in die unwirtliche Landschaft, um sich umzubringen. Eine ärmliche Steinhütte, die sich selbst verzweifelt am Hang eines Berges zu halten bemüht, soll ihm das letzte Zuhause vor dem Sterben sein. Die Witwe Ascen, eine ungebildete, kindlich religiöse, von Gicht geplagte alte Frau, gibt dem Fremden Obdach und bringt ihm ein Opfer: "Unzucht treiben" sagt sie dazu.

Im keuchenden, in seiner arbeitsamen Verbissenheit so manche Schamgrenze verletzenden Akt zwischen der Greisin und ihrem Gast, der unerwartet und unerklärt über ihre mißtrauische, verschämte Annäherung hereinbricht, kulminiert Carlos Reygadas’ visuelles und ideelles Filmkonzept. Fast hysterische, monströse Kargheit bestimmt seine Panorama-Aufnahmen der sperrigen Gegend, ebenso schroff die Leute darin. Unter den beeindruckenden, aber feindseligen Bildern liegt eine nicht minder abweisende Symbolspur von Tod und animalischer Fleischlichkeit: einem Vogel wird der Kopf abgedreht, ein Schwein schreit auf der Schlachtbank, ein Hengst begattet die Stute mit seinem riesigen Geschlecht. Und doch und gerade deshalb ist in diesem Film nirgends Sinnlichkeit - er ist vielmehr ihre völlige Verweigerung.

Man darf nicht verschweigen, daß Kritiker und Filmpreis-Juroren diesem rätselhaft religiösen, fast bis zur Betäubung meditativen Debüt Schönheit und visionäre Kraft nachsagen. In der kunstvollen Sinfonie, mit der Musik und Kamera schließlich Ascens Tod beweinen, mag man sie vielleicht verstehen - oder sie um die menschliche Größe beneiden, barscher Ablehnung trotz allem mit Liebe zu begegnen. Manchmal ist das unmöglich.

Originaltitel: JAPÓN

Mexiko/Spanien 2002, 122 min
Verleih: Arsenal

Genre: Drama

Darsteller: Alejandro Ferretis, Magdalena Flores

Stab:
Regie: Carlos Reygadas
Drehbuch: Carlos Reygadas

Kinostart: 24.07.03

[ Sylvia Görke ]