1 Bewertung

Jenseits der Hügel

Bezwingender Realismus und entschleunigter Thriller

Vor sechs Jahren erlangte Cristian Mungiu mit seinem Film 4 MONATE, 3 WOCHEN, 2 TAGE über illegale Abtreibung im spätkommunistischen Rumänien die Goldene Palme in Cannes. Daß er erst jetzt mit einem neuen langen Film wiederkehrt, ist wohl seiner sorgfältigen Arbeitsweise geschuldet. Er hat sich die nötige Zeit gelassen, einen Fall, von dem er zunächst in der Zeitung las, und der länger die Medien beschäftigte, zu seinem ganz eigenen Stoff zu machen.

Wie damals stehen auch hier zwei Freundinnen und eine ältere männliche Autoritätsperson im Zentrum. Wieder spielt die Geschichte in einem geschlossenen System, zwar in der Gegenwart, aber zum großen Teil in einem orthodoxen Kloster, jenseits des Hügels. Die Welt des Klosters und die Welt der Stadt sind bereits bildlich voneinander getrennt. Da oben scheint eine andere Zeit zu herrschen. In der Ruhe des Klosters hat Voichita ein Zuhause gefunden, während ihre beste Freundin Alina, mit der sie zusammen im Heim war, ihr Glück in Deutschland suchte. Nun kehrt sie zurück, um Voichita nachzuholen, von der sie absolute Loyalität und Liebe fordert. Doch für die ist Gott an die erste Stelle getreten. Zwischen beide setzt Mungiu einen charismatischen Priester, der auf Alinas Unruhe und ihre psychischen Probleme die immer gleiche Antwort kennt: Sie verbirgt eine größere Sünde.

Mungius Filme lassen sich schwer nacherzählen, da sie ihre Geschichte sehr langsam enthüllen. Das Erleben des Zuschauers ist unmittelbar. Dazu gehört auch, daß Situationen nicht dramatisch verengt, sondern ausgehalten werden. Die Protagonisten scheinen viele Umwege zu gehen, um doch immer wieder auf sich selbst zurückgeschmissen zu werden, einem Ende entgegen, daß zu Beginn keineswegs zu erahnen war, rückblickend aber absolut zwingend wirkt, da es sich aus einer Verkettung von Umständen, Situationen und bedacht preisgegebenen biographischen Details ableitet. Auf allen Ebenen macht der Film moralische Angebote, ohne das Verhalten der Figuren zu beurteilen. Das Sozialdrama wiederum kleidet sich in die Form eines extrem langsam erzählten Thrillers. Ein unwiderstehliches Angebot.

Nur eines gibt zu denken. Der neue rumänische Realismus, der seit gut 10 Jahren mit Regisseuren wie Mungiu, Cristi Puiu oder Corneliu Porumboiu auf der internationalen Festivalbühne für Furore sorgt, gelangt hier zur Perfektion, büßt damit aber auch das Rauhe und Brüchige ein. Was kommt danach?

Originaltitel: DUPA DEALURI

Rumänien/F/Belgien 2012, 150 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch/Peripher

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Cosmina Stratan, Cristina Flutur, Valeriu Andriuta

Regie: Cristian Mungiu

Kinostart: 14.11.13

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...