D 2017, 114 min
FSK 12
Verleih: Constantin

Genre: Science Fiction, Drama, Thriller

Darsteller: Jannis Niewöhner, Emilia Schüle, Fahri Yardim, Anna Maria Mühe, Jannick Schümann, Iris Berben, Hauke Petersen

Regie: Alain Gsponer

Kinostart: 31.08.17

20 Bewertungen

Jugend ohne Gott

Rebellion gegen elitäre Hybris

Keine Frage, er ist ein Träumer, wenn auch eher zweckmäßig, um zu überstehen, denn wenn Zach sich fürchtet, die Augen zu öffnen, weil sich dann die Welt kalt und verlogen zeigt, dann hilft eine romantisch-verklärte Sicht ohnehin nicht weiter, das gebietet schon die Intelligenz des Jungen. Und intelligent ist er wirklich, gar einer der Besten in diesem seltsamen Camp, das sich als eine Eliteschmiede versteht, welche die leistungsfähigsten Kader von einer aus den Fugen geratenen Welt separiert und die in teils räuberischer Armut vor dem Zaun Gebliebenen schlicht als illegales Pack bezeichnet, das seinen Sektor verlassen hat.

In dem sterilen Lager herrscht Strenge, Handies werden eingezogen, nur die wichtigsten Habseligkeiten dürfen behalten werden, körperliche Ertüchtigung steht auf dem Plan, ein perfider, verlogener Team-Faschismus wird propagiert, Ranglisten werden geführt, und Big Brother ist in noch jedem Moment dabei: Biodaten werden eingelesen, Sender unter die Haut injiziert, Drohnen flattern, Kameras rotieren fleißig, und über allem thront die Lageraufseherin Loreen, die von Anna-Maria Mühe ganz wunderbar als blonde, bitchige Eiskönigin gegeben wird.

Alain Gsponer erzählt seine in keiner klar auszumachenden Zeit verankerte Science-Fiction mit ruhiger Hand, ohne übermäßigen technischen Schnickschnack, die gegensätzlichen Welten aus anämischem Elitebrutkasten und einer räuberischen Schwarzmarkt-Gesellschaft werden grob, aber ausreichend skizziert. Aus dieser inszenatorischen Zurückhaltung und aus den Charakteren entsteht der faszinierende Sog der Geschichte. Er plaziert mit Zach einen archetypischen Anti-Helden, es braucht eben einen mit Kanten, einen, der sich auflehnt, der mit seinem papiernen Tagebuch schon für einen sympathischen Anachronismus zur durchtechnisierten Welt steht, und Jannis Niewöhner ist schlicht perfekt in der Rolle des Zach. Seine Figur trägt bereits Vernarbungen auf der Seele, der Vater brachte sich um, der Reichtum der Familie ist eher Fluch als Segen, und Niewöhner spielt in all der Zerrissenheit zwischen Kampfgeist und unverbrüchlicher Menschlichkeit eine seiner komplexesten Rollen.

Zach steht für die Hoffnung, daß die moderne Leistungsgesellschaft sich eben nicht nur auf Lügen, Ellenbogen und stupides Funktionieren versteht, daß es sich lohnt, einen Ort auferstehen zu lassen, in dem nicht alles perfekt sein muß. Zach verliebt sich derart in das Mädchen Ewa, welches sich als „Illegale“ in den Bergen herumtreibt, daß er für einen bald geschehenden, brutalen Mord einsteht. Jetzt spielt der Film mit Genreversätzen aus Jugenddrama, Justizthriller und Sittengemälde. Das gelingt Gsponer beeindruckend, seine bestens ausgewählten Darsteller helfen dabei, denn keiner spielt die eiskalte Verkommenheit und dabei so perfekt kaschierte seelische Fragilität derzeit besser als Jannick Schümann in der Rolle von Zachs Rivalen Titus.

JUGEND OHNE GOTT ist durchaus der Film zur Zeit, erzählt er doch von enormem gesellschaftlichen Druck, von immenser Anpassung und Gleichmachung – als Spiegelung des wieder aufkeimenden Totalitarismus’. Das haben vor ihm schon Filme wie BOY 7 gemacht, der allerdings erzählte hanebüchen, das geht Gsponers Film ab, er versteht sich als eine intelligente Erzählung, die ihre Dringlichkeit gerade durch das gedrosselte Tempo und eine hervorragend komponierte Filmmusik unterstreicht.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.