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Klassenleben

Fördern und Fordern - ein Lehrbeispiel

"Mein erstes Leben ist die Feuerwehr. Mein zweites Leben ist die Schule." Marwin, passionierter Freizeitretter aus der Klasse 5d der Berliner Fläming-Schule, setzt seine Prioritäten. Daß der lernbehinderte Junge in beiden Leben bestehen kann, ist Anliegen dieser integrativen Förderklasse, die von Frau Haase geleitet und mehreren Betreuern unterstützt wird. Ein Halbjahr lang waren Hubertus Siegert und sein Kameramann stille Hospitanten der paradiesisch anmutenden Lern- und Lehrinsel, die der Aschenputtel-Auslese des deutschen Bildungssystems das Miteinander von Ungleichen gegenüberstellt.

Hier lernen schwer, leicht und nicht behinderte Kinder gemeinsam, ganz abgesehen davon, daß wie überall faule Kerlchen, fleißige Bienchen, stille Wasser und vorlaute Besserwisser nebeneinander die Schulbank drücken, daß es existentielle Zerwürfnisse und anschließend verschwörerisches Gekicher gibt. Weil sich Siegert auf fünf der insgesamt zwanzig Schüler konzentriert, wird im Einzelnen nachvollziehbar, was allen abverlangt wird: die Starken müssen sich in Geduld üben mit denen, die so viel langsamer vorwärts kommen. Die resolute Frau Haase braucht Kraft für konsequente Maßstäbe, die trotz verschiedener Leistungsmöglichkeiten jedem gerecht werden sollen. Und Natalie hat einen komplizierten Reißverschluß an der Jacke, der Lehrer wie Mitschüler zur Verzweiflung und sie selbst zum Lachen bringt.

Christian hat es vorerst am schwersten - auch ohne Behinderung. Er ist eben neu. "Die Frau Haase macht das so spielerisch", stellt er fest. Und auch die anderen Kinder äußern sich merkwürdig reflektiert über das ihnen angedeihende pädagogische Konzept, das ja sonst meist undurchdringliches Geheimnis von Lehrerkonferenzen und Bildungsexperten bleibt. Vielleicht geht da aber auch eine Unschuld verloren, die es so nie gab? Wer weiß schon, wie bewußt sich Erzieher und Erzogene im Allgemeinen wahrnehmen? Siegerts Dokumentation stellt sich, ohne Schnörkel und Eitelkeiten, in den Dienst ihres Sujets und läßt damit auch solche Fragen zu.

Allerdings hätte sie eine weitaus klarere Struktur vertragen können, die nicht nur Spiel (Theaterproben) und Ernst (Unterricht) voneinander scheidet, sondern - schulisch diszipliniert - einer komplexen, gemeinsamen Entwicklung folgt.

D 2005, 87 min
Verleih: Piffl

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Hubertus Siegert
Drehbuch: Hubertus Siegert

Kinostart: 01.09.05

[ Sylvia Görke ]