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Love Life

Ein Film als unablässiger Fausthieb

Der Originaltitel läßt sich unschwer als „Kommt eine Frau zum Arzt“ übersetzen, er folgt damit Kluuns autobiographischer Romanvorlage (in Deutschland „Mitten ins Gesicht“ getauft). So beginnen außerdem diverse, meist kontroverse Witze. Das Strittige übernehmen auch Buch und Verfilmung, zu lachen gibt es aber nichts. Eher im Gegenteil.

Dabei deutet anfangs alles auf Harmonie hin: Werbeguru Stijn trifft die attraktive, selbstbewußte Carmen. Schnell geschnitten folgen Annäherung, Hochzeit, Umzug, eine Tochter. Das gemeinsame Glück bekommt zwar temporär Risse, weil Stijn nicht aufhören kann, Carmen zu betrügen, doch sie arrangiert sich, weiß um seine davon unabhängige Liebe zu ihr. Die Ehe läuft. Aber dann aus heiterem Himmel der Schock: Brustkrebs. Stijn beruhigt sich im Gespräch mit Freunden selbst: „Leute, bitte, sie stirbt doch nicht!“ Ein schrecklicher Irrtum.

Wir lassen an dieser Stelle bewußt alle mehr oder weniger technischen Dinge außen vor, denn beeindruckendes Schauspiel, clever komponierte Bilder oder schraubstockartige Erzählung in drei Episoden, wobei die psychische Härte des finalen Teils viel abverlangt, treten hinter etwas anderes zurück. Den Betrachtungswinkel nämlich. Obwohl Carmen stets als emotionales Bindeglied fungiert, ihr Leidensweg inklusive Chemotherapie, Amputation, Bestrahlung, Angst und Verzweiflung nie aus dem Fokus rutscht, durch wenige sehr intime Szenen gar weiteren Nachdruck erfährt, übernimmt Stijn den Hauptpart. Und ja: Der Mann ist grundsätzlich das Letzte. Treibt sich ungeachtet seiner zu Hause vegetierenden Partnerin herum, vögelt in Discos, beginnt eine Affäre. Das wird weder verurteilt noch gutgeheißen, sondern schlicht abgebildet, klinisch verfolgt.

Auf diese kontroverse Weise entsteht das Bild eines hilflosen Menschen, völlig überfordert, am „normalen Leben“ klammernd und auf der Flucht vor der Krankheit, seiner Frau, dem eigenen Ich, schließlich der Liebe zu Carmen, welche mit ihr jeden Tag ein Stück zu sterben scheint. Das macht Stijn keinesfalls zum Helden, er bleibt ein Unsympath – indes einer, dessen Verhalten man nicht nachvollziehen muß, allerdings überdenken kann. Und soll.

Solche Courage fern softer Genre-Verwandtschaft à la LOVE STORY verdient Respekt. Selbst wenn oder gerade weil sie tatsächlich mitten ins Gesicht schlägt. In Magengrube und Gefühlszentrum sowieso.

Originaltitel: KOMT EEN VROUW BIJ DE DOKTER

NL 2009, 110 min
Verleih: Camino

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Carice van Houten, Barry Atsma, Anna Drijver, Jeroen Willems, Sacha Bulthuis

Regie: Reinout Oerlemans

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...