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Maudie

Eine phantastische Frau

Sally Hawkins hat derzeit das, was man einen Lauf nennt. Sie kämpft an allen filmischen Fronten, überzeugt im Mainstream als Bären-Ersatzmutter, spätestens seit HAPPY-GO-LUCKY gilt sie als angeschrägte Arthouse-Königin, und nun verschlägt es einem den Atem, wenn man ihre, man kann es nur so nennen, zutiefst humanistische Performance einer vom Leben geprüften Frau, einer Künstlerin auf Umwegen, einer aufrichtig good person in MAUDIE sieht. Und ja, weil das immer gleich aufflackert: Sie hätte dafür den OSCAR verdient, allein das Timing war mies, der Film wurde vor einem halben Jahr in den USA in einer holprigen Kampagne bereits verheizt. Letztlich alles nicht so wild, den Goldjungen wird sie dennoch einsacken, wenn man den Kollegen glauben darf, die Hawkins in Guillermo del Toros DAS FLÜSTERN DES WASSERS gesehen haben. Sally Hawkins hat einen Lauf ...

Doch zurück zu Maud Dowley, die das Leben im Haus der Tante ablehnt, die Dominanz des Bruders nicht mehr erträgt, die selbständig leben und als Mensch wahrgenommen werden will, der Bedürfnisse hat, Entscheidungen treffen kann, der im Leben trotz verkrüppelter Hände, krummen Rückens und Humpelgangs gut zurechtkommt. Eine Kindheitserkrankung hat Maudie derart geprägt, sie findet sich damit ab, mit der Fremdbestimmung jedoch nicht mehr länger. Der Bruder hinterging sie, indem er das elterliche Heim verkaufte, eine Beteiligung am Gewinn steht nicht zur Debatte. Maudie bricht aus, sucht sich Arbeit und findet diese als Haushälterin bei Everett Lewis, ein Eigenbrötler, der von Fischfang und Holzhandel lebt und von Anwohnern mit Argwohn beobachtet wird. Das kennt Maudie zur Genüge, weil sie eigensinnig ist, die Pferde grüßt, mit Hunden und Hühnern spricht, weshalb Kinder mit Steinen nach ihr werfen. Vom Regen in die Traufe, möchte man meinen, kommt Maudie, denn Everett ist ein Grobian, ein Choleriker, emotional verkrüppelt, es kommt zu Handgreiflichkeiten. Sein Motto: erst er, dann die Hunde, schließlich die Hühner und dann erst Maudie. Doch sie wehrt sich mit ihren Mitteln.

Spätestens hier werden Frauenbärte und Birkenstockler aufheulen: Ende der 30er Jahre muß man eine Frau so richtig rund machen, dann gehorcht das Weib. Das ist natürlich pauschal, blöd und falsch sowieso. Kuschelige Zeiten waren das sicher nicht, und doch braucht es genau diese ungeschönte Prälude, um von Emanzipierung, ungewöhnlicher Liebe und der Geburt einer Künstlerin zu erzählen. Maudie und Everett sind tatsächlich ein Paar geworden, und Maudie konnte ihr Talent entfalten – als Malerin. So erfolgreich, daß sogar Präsident Nixon ein Bild bestellte. Regisseurin Aisling Walsh war klug genug, dosiert vom künstlerischen Erwachen zu erzählen, sie fokussiert mehr auf das Aneinandergeraten zweier Sonderlinge, die an Verlustängsten leiden. Aus diesem Bund, dieser wachsenden Solidarität, aus diesem Sich-gegenseitig-Brauchen speist sich die Kraft, ja, die Wucht dieser so anrührenden Geschichte über die Sperrigkeit des Glücks. Zwei gegen die Welt oder mindestens fürs Überleben! Man darf auch herzlich lachen oder wenigstens schmunzeln, wenn Maudies Methodik zum „Knacken“ Everetts vorerst reichlich naiv anmutet, letztlich doch aber einer größeren Ordnung gehorcht: das Aufstellen kleiner Bilder, das Bemalen der Wände, das beharrliche Einfordern eines Fliegengitters und das Streicheln eines Huhnes, bevor es Everett pfannengerecht verarbeitet.

Ethan Hawke spielt als Everett eine seiner stärksten Rollen, keine Frage, wenn aber Sally Hawkins dieses freche Grinsen anknipst, in etwa, wenn sie das Gerede der Leute von ihr als Everetts Liebessklavin erwähnt, dann grinst man mit, dann kriegt man weiche Knie, dann weiß man, daß Hawkins völlig zu Recht derzeit diesen Lauf hat.

Originaltitel: MAUDIE

Irland/Kanada 2016, 116 min
FSK 12
Verleih: NFP

Genre: Drama, Biographie

Darsteller: Sally Hawkins, Ethan Hawke

Regie: Aisling Walsh

Kinostart: 26.10.17

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.