Originaltitel: MEAN CREEK

USA 2004, 90 min
Verleih: Tobis

Genre: Erwachsenwerden, Drama, Abenteuer

Darsteller: Rory Culkin, Ryan Kelley, Josh Peck

Regie: Jacob Estes

Kinostart: 16.06.05

1 Bewertung

Mean Creek

Stilles und trefflich besetztes Drama über jugendliche Wut, Gruppenzwang und das Ende kindlicher Unschuld

George ist ein dicker Junge. Sehr dick. Um ehrlich zu sein, George ist richtig fett. Doch anders als in vielen amerikanischen Geschichten ist George keiner, der auf dem Schulhof gehänselt, aufgezogen und von den anderen abgeschoben wird. Genau das Gegenteil ist der Fall, was seinen Sympathiewerten aber auch keinen Aufwind beschert: er ist ein grenzenloser Aufschneider, ein Großmaul, einer, dessen Stein garantiert und mindestens 1000 mal über das Wasser springt, einer, der schon mal eine ganze Schachtel American Spirit Menthol geraucht haben will, selbst wenn es diese Sorte gar nicht gibt, für den Joints so überhaupt nichts Neues sind und und und ...

George ist ein echtes Ekelpaket. Ein ziemlich brutales auch, hat er doch den viel schmächtigeren Sam vertrimmt. Der und sein großer Bruder wollen dem Dicken die feige Attacke heimzahlen. Da kommt ihnen, ihrem impulsiven Kumpel Marty, dem eher zarten Clyde und Sams Freundin Millie die Idee, George auf einen Bootsausflug einzuladen. So unter Freunden. Offiziell. Was George nicht ahnt: ihm soll ein kleiner Denkzettel verpaßt werden. Doch Georgie zeigt sich auch auf dem Bootstrip von seiner widerwärtigsten Seite, die Situation eskaliert ...

Solche Filme kamen zuletzt in den 80ern in die Kinos, als Musterbeispiel muß natürlich STAND BY ME herhalten, dem dieses kleine, stille, mit ruhiger Hand inszenierte Drama tatsächlich nicht unähnlich ist. Zumindest erreicht Regiedebütant Jacob Estes eine ganz ähnliche Intensität in dieser filmischen Entdeckung über jugendliche Wut, ausufernden Gruppenzwang und adoleszente Emanzipation. Seine Helden sind von Haus aus verletzbar (Martys Vater beging Selbstmord), sie leben in ungewöhnlichen Familien (Clyde hat gleich zwei schwule Väter), und sie sind alle mittendrin in diesem merkwürdigen Kosmos der amerikanischen Provinz. Estes erzählt von einem dieser ganz archetypischen amerikanischen Sommer auf dem Lande, in dem Sam und seine Freunde ihre letzte kindliche Unschuld verlieren, in dem ihnen moralische Grenzen aufgezeigt werden, und in dem sie mit Sicherheit einige bleibende Narben davontragen. Estes ist schon jung ein sehr subtiler Erzähler, der nahezu berauschende Bilder findet, um das Drama unaufhörlich und dabei nicht durchschaubar voranzutreiben.

Kleine Momente sind es, die ihm zu zurückhaltender, tatsächlich das Geschehen untermalender Musik zum Unter-die-Haut-Kino gelingen. So etwa, wenn das grüne Wasser beim Paddeln für einen ganz kurzen, fast unmerklichen Moment pechschwarz wird, wenn die Jugendlichen nach der Katastrophe ganz still sind, jeder für sich entfernt vom anderen sitzt, wenn ein inneres Weinen spürbar wird. Genau in diesen Momenten trifft’s den STAND BY ME-Ton auf der ganzen Note: Angst, Verzweiflung, Scham, Trauer und Wut empfinden die Freunde, und exakt das können die ausnahmslos beeindruckenden Jungmimen wiedergeben. Kein einzelgängerischer Nachvornekrawall, dafür ein durch und durch symbiotisches Ensemblespiel.

Doch auch Estes emanzipiert sich mit Humor vom "Retro-Ruch der 80er": als zwei der Jungs darüber schwadronieren, welche Braut nun heißer sei, Jennifer Lopez oder das Mädchen in der Schule auf der hinteren Schulbank, kann J-Lo noch klar punkten. Beim Zweikampf zwischen Heather Locklear und Shannon Doherty erweist sich der kleine Sam ganz klar als ein Kind seiner Zeit und fragt: "Wer ist Heather Locklear?"

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.