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Meine Schwester

Totenwache am Grab der Romantik

Auf ihren filmischen und literarischen Gedankengängen ist Catherine Breillat zur mehrfachen Mörderin geworden, die wieder und wieder dasselbe tötet: die Romantik. Und sie erwischt das schimärenhafte Ungetüm meistens dort, wo es sich sicher fühlt: im Bett. In ROMANCE war das noch einfacher, denn das Liebespaar hatte sich in den Laken bereits müde gelegen. Von den beiden Teenagern in ihrem neuem Anschlag auf die Zweisamkeit hofft man, sie mögen ihre Illusionen etwas wachsamer schützen.

Ein sonniges Sommer-Italien bietet seine Hilfe an, doch in der Szenerie hat schon ein Sturm gewütet und abgeknickte Bäume hinterlassen. Die fünfzehnjährige Eléna und ihre jüngere dicke Schwester Anaïs verbringen hier die Ferien mit den Eltern. Die verordnete Schwestern-Gemeinschaft hat nicht erst hier gehässige Risse bekommen. Von gegenseitiger Verachtung und Mißgunst erholt man sich in den seltenen Momenten kindlich-kichernder Komplizenschaft. Im Strandcafé trifft die elfenhafte Eléna auf ihren ersten Verführer. In Elénas Bett im Ferienhaus gibt sich das Juristensöhnchen auch als ihr erster Enttäuscher zu erkennen: Wer mich liebt, läßt sich von hinten nehmen.

Für die Demontage der feuchten Träume von Anaïs nimmt Breillat ein paar Umwege. Als alabasterfarbene Putte läßt sie den trotzigen Dickhäuter im Swimmingpool planschen und lauscht ihren Liebeserklärungen an Treppen und hölzerne Pfeiler. Die Verstopfungen der Seele nährt sie mit der Zügellosigkeit des Essens und der Magerkeit der familiären Tischgespräche. Die Entjungferung des aufgeblähten Unglückskindes nimmt sie schließlich in einem Akt äußerster Brutalität vor - die Erfüllung einer Sehnsucht mit aller Gewalt.

Aus Breillats Kopf- und Kunstmühle erbricht sich eine verknitterte, verwüstete Antithese zum LA BOUM-Mythos, der man ob ihrer Verschwiegenheit über soziale, psychische, Sinn stiftende Motivationen auch mit Kopfschütteln begegnen darf, vielleicht auch mit Ablehnung. Denn sie verweigert auch diesem Drama eisern die Körpertemperatur. Eine Frage aus dem warmen Bauch: Klopft hier eine Agente provocatrice nur auf den Busch, um zu sehen, welche Ratten sich noch aufscheuchen lassen?

Originaltitel: À MA SOEUR

F/I 2001, 95 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Anaïs Reboux, Roxane Mesquida, Libero de Rienzo

Stab:
Regie: Catherine Breillat
Drehbuch: Catherine Breillat

Kinostart: 05.12.02

[ Sylvia Görke ]