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Memoria Viva

Vom Verteidigen der Errungenschaften

Der alte Mann sitzt in seinem Stuhl und schüttelt den Kopf. „Warum wehrt Ihr euch nicht?“, fragt er den Regisseur des Films, Antonio de Quirós Rodríguez. Der nämlich gehört zu jener nachwachsenden Generation, die immer erreichbar und flexibel ist, gerne auch abends und am Wochenende arbeitet, von Festanstellungen nur träumen kann und dafür im Durchschnitt weniger als die Gesamtbevölkerung verdient. Wenn sie überhaupt einen Job hat. Gerade in Spanien ist die Jugendarbeitslosigkeit eins der Hauptprobleme dieser Zeit.

Der alte Mann ist Mitglied der CNT, der spanischen Confederación Nacional del Trabajo. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich diese legendäre Gewerkschaft in Spanien als Antwort auf die damaligen katastrophalen Arbeitsbedingungen gegründet. Über eine Million Mitglieder zählte die CNT in ihren Spitzenzeiten Ende der 30er Jahre, in denen sie zum Generalstreik ausrief und so mehr als die Hälfte der industriellen Produktion in Katalonien lahmlegte. Nicht umsonst nennen sich die Protagonisten in MEMORIA VIVA Revolutionäre, denn sie haben erkämpft, was für uns heute völlig normal erscheint: den Acht-Stunden-Tag. Im Film erzählen rund 50 Mitglieder die Geschichte der Gewerkschaft: ihre Entstehung und ihre Aktionen in der Franco-Diktatur, im Krieg und im französischen Exil. In den 70er Jahren dann verlor die CNT tausende Mitglieder.

MEMORIA VIVA ist ein starkes politisches Statement gegen einen immer stärker werden Kapitalismus und ein spannendes Zeitdokument. Leider besteht der zweistündige Film fast ausschließlich aus Interviewsequenzen, auch fehlt eine Außenperspektive, die geholfen hätte, die Geschichte besser einzuordnen. Mehr Bilder und persönliche Geschichten hätten dem wirklich spannenden Thema durchaus gut getan. So fällt es schwer, den Aussagen und politischen Theorien der vielen Redner zu folgen, auch, weil sie ihre Namen verheimlichen – sehen sich die CNTler doch als Masse und nicht als Individuum. Aber nicht nur das unterscheidet die Aktivisten von den heutigen Jugendlichen. Auch würden die Methoden der CNT, die sich weiter für die Selbstbestimmung der Arbeiter stark macht, im Internetzeitalter so nicht mehr greifen.

Die Welt ist komplexer geworden. Und dennoch regt der Film zum Nachdenken an, warum wir heute so wenig dagegen tun, daß schwer erkämpfte demokratische Errungenschaften uns gerade langsam durch die Finger rieseln.

Originaltitel: MEMORIA VIVA

Spanien 2015, 120 min
Verleih: Sabcat Media

Genre: Dokumentation, Polit

Regie: Antonio Jesús García de Quirós Rodríguez

Kinostart: 11.08.16

[ Claudia Euen ]