Originaltitel: MISTRESS AMERICA

USA 2015, 85 min
FSK 6
Verleih: Fox

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Greta Gerwig, Lola Kirke

Regie: Noah Baumbach

Kinostart: 10.12.15

5 Bewertungen

Mistress America

Denn sie wissen nicht so richtig, was sie tun

Es fällt ihr schwer, Sachen pünktlich zu erledigen. Damit steht Tracy exemplarisch für eine ganz moderne Aufschiebe-Generation, die sich doch viel lieber und scheinbar beiläufig durchs ungewaschene Haar fährt, in entspannter Lässigkeit eine Filterlose raucht und dazu ein – natürlich – Craft Beer schlürft. Und doch macht es sich Noah Baumbach mit seiner bezaubernden Hipsterschelte nicht so einfach, eben schon darin, daß er seinen Figuren ziemlich schnell die so typische Selbstgefälligkeit austreibt. Gut, Tracy hat ohnehin noch die Fähigkeit zu zweifeln, vor allem an sich und manchmal auch zu viel. Sie fühlt sich fremd in New York, ihre ersten Texte werden von einem literarischen Zirkel abgelehnt, in ihrem Frust ruft sie dann doch Brooke an, deren Vater in Kürze Tracys Mutter heiraten soll, Gelegenheit also, daß sich die Stiefschwestern in spe doch mal kennenlernen. Und Brooks knallt in Tracys Leben wie eine Aufziehmaus im Kinderzimmer: Lärmig, hibbelig, aufgedreht, tausend Ideen im Kopf, Investoren müssen her, das eigene Restaurant ruft, grelle Lichter am Times Square, alles im Fluß! Wuchtbrumme, hätte man früher gesagt, Nervensäge trifft es heute besser, aber eben eine charmante, ein echter Kumpeltyp.

Kein Wunder also, daß Tracy diesen schwärmerischen Blick kriegt. Die Sätze fliegen hin und her, oder vorerst eher hin, da Baby Tracy, wie sie liebevoll von Brooke gerufen wird, an sich die Ruhigere ist. Manchmal schwirrt einem ob der Textsalven der Kopf, aber: Laßt sie quatschen, sie sind noch jung! Und Baumbach hat ohnehin seine Hausaufgaben bestens gemacht. Zum einen muß er Woody Allen mögen, keine Frage, zum anderen kratzt er Lücken in die Satzkaskaden, läßt Lebenspläne platzen, rückt Dinge grade und verschiebt Optionen, weshalb seine Mädels sympathische Grundzüge erkennen lassen: Unsicherheit und die Unfähigkeit, mit Zurückweisungen klarzukommen. Baumbach verrückt Film über ganze Charakterbausteine: Was zuvor Brooke auszeichnete, dieser Erfolgswille, das Hoppla-jetzt-komm-ich-Ding, paßt plötzlich viel mehr zu Tracy, die eine ziemlich gute, Brooke schließlich auch zu private Kurzgeschichte hinkriegt, und Tracys an sich gehörig klapperndes Selbstwertgefühl schmiegt sich behende an die nicht mehr so supersichere Brooke. Das gelingt Baumbach in keinem Moment ungelenk, ist eher von einer anrührenden Offenheit, etwa wenn Brooke meint: „Bei Dir fühle ich mich immer klug.“

Baumbach findet witzige Situationen, um die Unselbständigkeit, das Zweifeln zu illustrieren, Situationen, die entlarvend und trotzdem nicht bloßstellend sind: Panisch ruft Tracy ihre Mutter an, welche Pasta sie kaufen würde. Da sie ihre Mom nicht erreicht, kann man sich zwar rasch ausmalen, wie viele Pakete Nudeln sie nach Hause schleppt, schmunzeln muß man dennoch. Es wäre ein Leichtes gewesen, mit der Oberflächlichkeit einer fraglos sehr Ich-bezogenen Generation abzurechnen, es wäre aber auch zu pauschal und billig. Baumbach und seine Ko-Writerin Greta Gerwig, die auch die Granate Brooke spielt, kitzeln lieber raus, was junge Menschen hinter dem Panzer heute so antreibt. Und auch da bleiben sie ehrlich: Dieses ganze Getue mit Projekten und Ideen, das letztendlich sowieso nur aus dem immensen gesellschaftlichen Erwartungsdruck entsteht, wird ziemlich zügig weggewischt, und bürgerliche Träume nach einem Sommer in Maine schimmern durch.

Noch ein Wort zu Lola Kirke, die Tracy spielt: Die wickelt einen schlicht um den Finger! Das Zögerliche, das Klettenhafte und dann immer wieder dieser süße Zug um den Mund herum lassen sogar den schauderhaften kackbraunen Strickpullover vergessen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.