Originaltitel: MIDNIGHT’S CHILDREN

GB/Kanada 2012, 148 min
FSK 12
Verleih: Concorde

Genre: Literaturverfilmung, Drama, Historie

Darsteller: Satya Bhabha, Siddarth, Shahana Goswami, Rajat Kapoor, Seema Biswas

Regie: Deepa Mehta

Kinostart: 04.04.13

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Mitternachtskinder

Indien (fast) ohne Bollywood

Salman Rushdie bekommt „Die satanischen Verse“ nicht los. Muß er auch nicht. Die Wirkung des großen Schriftstellers auf dieses eine schwer umstrittene Buch zu beschränken, wäre indes fatal. Vielleicht ist es jetzt das Kino, das eine Art Nachhilfe leistet. MITTERNACHTSKINDER als Rushdies 1981 erschienener Zweitling las sich für Regisseurin Deepa Mehta schon damals wie ein Film. Die Option auf die Umsetzung hatte sie vom Autor erworben – für einen Dollar bei einem gemeinsamen Abendessen.

Mit den Fließbandprodukten Bollywoods hat das zweieinhalbstündige Epos freilich nicht viel gemein, obwohl man auch hier weder auf die überschäumende Buntheit der Bilder und Kostüme noch auf traditionelle Musik und pittoreskes Chutney verzichten muß. So wie das Buch ein Heimatroman ist, marmoriert die Seele des Heimatfilms auch die Leinwandadaption. In beiden Kunstformen steckt der gleiche Geist. Es sind konsequente Liebeserklärungen zweier indisch-stämmiger Menschen, die fern des Geburtslandes auf ihre Wurzeln schauen und dabei – trotz eher westlicher Rezipienten im Hinterkopf – nicht zu sehr ins Nivellieren verfallen. Und: Die indisch-kanadische Deepa Metha konnte den indisch-britischen Salman Rushdie zum Schreiben des Drehbuchs bewegen.

Es ist ein denkwürdiger Tag, der 15. August 1947. Indien erklärt um Mitternacht seine Unabhängigkeit von Großbritannien und schafft unter Nehru und Gandhi eine Union, die bald schweren Erschütterungen ausgesetzt wird. Indiens Hindus und Pakistans Muslime geraten aneinander. Als Metapher holen Rushdie und Mehta in jener historischen Nacht zwei Babies aus den Bäuchen ihrer Mütter ans diffuse Licht Bombays: Saleem und Shiva, der eine aus armen Verhältnissen, der andere aus feinem Haus. Eine Krankenschwester vertauscht die Säuglinge, weil sie – revolutionär getrieben – dem Schicksal in die Karten spielen will. Über die Kinder bekommt der Film seinen entscheidenden Strang, der Reigen aber begann schon im Jahr 1917. Enden wird er sechs Jahrzehnte später.

MITTERNACHTSKINDER entwickelt nach etwas behäbigen ersten 30 Minuten ordentlichen Zug, weil ihm zunehmend die Mischung aus Milieu- und Gesellschaftsbeschreibung, ironischer, ja, humoristischer Brechung, Off-gesprochener Fabel sowie surrealistischer Spielerei gelingt. Kompromißloser Tiefe aber verweigert sich Deepa Mehta. Auch das ist eine Ansage.

[ Andreas Körner ]