Originaltitel: CHOCOLAT

F 2016, 110 min
FSK 12
Verleih: DCM

Genre: Drama, Biographie

Darsteller: Omar Sy, James Thiérrée, Clotilde Hesme, Olivier Gourmet, Frédéric Pierrot

Regie: Roschdy Zem

Kinostart: 19.05.16

2 Bewertungen

Monsieur Chocolat

Vielschichtig Flammendes in Schwarz und Weiß

Frankreich, 1897. An der Schwelle zum modernen 20. Jahrhundert kämpft der Zirkus Delvaux ums Überleben und sucht nach neuen Künstlern, doch so richtig geht’s nicht voran: Eine Bärennummer kostet wegen des gefräßigen Petzes zu viel, Clowns will keiner mehr sehen, Spektakuläres muß her. Wenigstens mäßige Erfolge feiert derzeit Kananga, ein Schwarzer, bekreischt als „fehlendes Glied zwischen den Primaten und uns“, stilecht animalisch brüllend mit Knochen in der Hand auftretend, schrille Frauenschreie gellen.

Das sieht Footit, einst berühmter weißer Clown, und kommt auf eine forsche Idee – warum nicht was Gewagtes tun, Hautfarben mischen und zusammen agieren? Gedacht, getan. Aus Kananga wird Chocolat, ein dummer August, den Footit in der Manege drangsaliert, sehr zur Freude des dämlich grölenden und bald massenhaft strömenden Publikums. Es dauert allerdings nicht lange, bis die Polizei an Chocolat Gewalt ausübt, und unsere zwei Kollegen schleichend zu Rivalen mutieren ...

Bei flüchtigem Anschauen ist MONSIEUR CHOCOLAT vorerst natürlich ein Rassismus-Drama, auf wahren Ereignissen basierende Abhandlung in Humanität, deren stellenweise überhöhte Deutlichkeit parallel zur unverändert nötigen Erzählung verläuft. Doch Blicke hinter die Kulissen legen weitere Ebenen offen. Konkret schlägt die eigentlich straff zielgerichtete Geschichte häufig wunderbare Haken, porträtiert Chocolat als ambivalenten Charakter statt passives Opferlamm, und Footits Seele stellt ein noch spannenderes, weil völlig zersplittertes, Mysterium dar. Lediglich Andeutungen, Vermutungen, Ahnungen möchten ihm, dem sichtlich traurigen Clown, wie gefangen unter einer emotionalen Käseglocke, einen Glasschneider reichen, den psychischen Ausbruch ermöglichen, welcher vielleicht später kommen könnte – oder nie. Und unvermittelt grinst böse Klarheit von der Leinwand: Sämtliche Figuren sind Gefangene des Faktes, zur falschen Zeit am falschen Ort zu existieren, was jegliche Entfaltung unterdrückt und Daseinsfreude raubt. Anders formuliert: Ein theoretisch mit Skilanglaufweltmeister-Gen geborener, praktisch in der Wüste lebender Nomade grämt sich aus Mangel an Gelegenheit, sie umzusetzen, wegen der verpaßten Chance wohl kaum, wohingegen Chocolat, Footit & Co. wissend an der bornierten Gesellschaft verrecken. Zufall, daß Frootit seine Mundwinkel nach unten schminkt? Nein, Verzweiflung, die jeder „Abweichler“ kennen dürfte, verheerende Folgen teils inklusive.

Sie lodern hell, die im Hirn brennenden Flammen facettenreicher Fragen ohne Standardantworten oder Schablonenmalerei, zum Scheiterhaufen befeuert durch bis hin zur Statistin leidenschaftliche Darsteller. Neben ZIEMLICH BESTE FREUNDE-Star Omar Sy und Charlie-Chaplin-Enkel James Thiérrée sei primär Noémie Lvovsky erwähnt, welche sich – wie aktuell auch in LA BELLE SAISON – zwar mit einer (hier sogar winzigen) Nebenrolle begnügt, ihr aber einen erinnerungswürdigen Markanz-Stempel aufdrückt. Ihnen allen glückt, dies irgendwie entwarnend eingestreut, ebenfalls die Glanzleistung, trotz thematischer Schwere dem Film verblüffende Lockerheit zu verleihen, abgerundet von entrückter Schönheit, darunter audiovisuell bezaubernd aufgetupftes Pariser Flair oder erlesene Kostüme.

Stärkstes Qualitätsplus des Ganzen bleibt dennoch die Universalität punktgenau landender Dialoge à la: „Ich will versuchen, ich selbst zu sein. – Nichts ist anspruchsvoller.“

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...