Originaltitel: MOONLIGHT

USA 2017, 111 min
FSK 12
Verleih: DCM

Genre: Drama

Darsteller: Alex Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes, Naomi Harris, Mahershala Ali

Regie: Barry Jenkins

Kinostart: 09.03.17

47 Bewertungen

Moonlight

Leiden, Lieben und Verzeihen – überwältigendes Kino über einen bezaubernden Jungen in drei Akten

„Schnappt ihn Euch, macht ihn fertig.“ Kinder können grausam sein, und weil sie es auch in MOONLIGHT sind, muß Boris Gardiner dagegen ansingen: „Every Nigger Is A Star!“ Allein diese Eröffnungssequenz, eine, die später ihre musikalische Wiederholung erfahren wird, steht für den Kampfgeist dieses Films. Denn vom Sternenglanz kann eigentlich keiner weiter entfernt sein als der kleine Chiron, aus dem im Verlauf des Films der Teenager und später der Mann Chiron wird. Seinen Vater kennt er nicht, die Mutter verschwindet immer häufiger hinter Crack- und Alkoholschwaden, und erst als Chiron, von den meisten als Kind nur Little genannt, auf Juan trifft, einen Dealer mit reichlich Ethos und väterlicher Zuneigung, scheint sich das Leben ein bißchen mehr von seiner Sonnenseite zu zeigen.

Wobei zu behaupten, daß der Junge nun von purer Zuversicht umzingelt sei, reichlich übertrieben wäre, aber immerhin ißt der schweigsame Kerl am Tisch von Juan und dessen Freundin Theresa wie einer, der noch was vorhat im Leben. Er wird sich ins Wasser trauen, in den Armen Juans, der ihm das Schwimmen beibringt, der ihm zeigt, daß er überhaupt existiert, der ihm Weisheiten alter Frauen vermittelt, nach denen schwarze Jungs im Mondschein blau aussehen. Und Blau, das wissen wir vom Kino, ist eine warme Farbe und die traurige Grundessenz vom Leben erzählender Lieder.

Es sind die Augen! Diese Augen, die viel zu oft nach unten schauen, scheinbar an allem vorbei, und die doch so wachsam sind. Diese Augen, aus denen Chiron voller Skepsis in eine schon auch grauenvolle Welt schaut, mit denen er durchaus in kindlicher Schwärmerei Juan beim Baden beobachtet. Er hat ihn einfach, diesen speziellen Blick, der uns auf der Stelle zum Heulen bringen kann. Heulen wird der Teenager Chiron auch, weil die Torturen nicht weniger werden, weil seine Mutter sich von ihm und dem Leben immer weiter entfernt, weil dem ersten Sex mit Kevin, einem Schuljungen, den er von klein auf kennt, eine kaum wiedergutzumachende Abscheulichkeit folgt.

Immer wieder zieht es einem diesen pochenden Muskel mitten in der Brust zusammen, weil es dem Regisseur Barry Jenkins gelingt, ohne jegliche Sentimentalität, ohne dieses im Kino zu gern getestete Knöpfchendrücken mit diesem anrührenden, eigenwilligen, schlaksigen Kerl zu fühlen.

Das gelingt auch, weil Jenkins nichts auserzählt, Luft und Raum läßt, immer wieder Szenen hart schneidet, im exakt richtigen Moment aus ihnen „herausgeht“, den Ton abdreht, und wir trotzdem wissen, was Chirons Mutter im Rausch dem Jungen zubrüllt, weil er uns Denken und vor allem Fühlen überläßt, was im modernen Kino mittlerweile eine Seltenheit geworden ist, weil Jenkins uns als Betrachter noch etwas zutraut, und weil er auf eine Fleisch-und-Blut-Figur setzen kann. Einen Jungen, dem mit Juan eine Art älterer Wiedergänger an die Seite gestellt wird, Juan, der ebenso viele Gründe als Kind hatte, seine Mutter zu hassen und sie nun umso mehr vermißt.

In seiner Komplexität ist MOONLIGHT ein zutiefst humanistisches, ein kluges Überlebensstück. Das aus Chirons vorläufiger Schutzlosigkeit keinen Hehl macht. Was ist das denn auch für eine Welt, in der sich ein wirklich guter Kerl in der Schule fürchten muß, dem der Kiefer blutig geschlagen wird? Warum muß ein so sensibler, sehnsuchtsvoller und in seiner Unangepaßtheit durchaus auch schöner Junge heutzutage noch so herzerschütternd weinen?

Es ist genau die Welt, die aus Chiron Black machen wird, einen muskelbepackten Gangster, der sich durchsetzt, auf dicke Hose und großes Auto macht, der vielleicht mehr gefürchtet als geachtet wird, und der trotz allem lieber allein bleibt. Chiron paßt einfach nicht in diese Welt – mit dieser unverbrüchlichen Sehnsucht, jemanden zu lieben, ihm vertrauen zu können, und wenn sich da keiner zeigt und ebenwürdig erweist, ist Alleinsein die notwendige Lösung.

MOONLIGHT hebt zu einem Hymnus auf die Unangepaßtheit und mehr noch auf die bedingungslose Liebe an. Die schwer geprüfte und unvergängliche Liebe zu Chirons Mama, die unvergeßliche und trotz aller wirklich schweren Enttäuschungen überdauernde zu Kevin und vor allem auch die rettende zu Juan und Theresa. Man muß das noch einmal aufgreifen, um zu verstehen, in welchem Minenfeld sich der damals kleine, heranwachsende Solitär bewegte: Ausgerechnet Juan, ein Crackdealer, wird zum Schutzpatron Chirons mit dem Herzen am richtigen Fleck, mit den richtigen Worten in den entscheidenden Momenten, ein Kerl, der an sich nicht lange fackelt, hält der eigenen, von Brutalität gezeichneten Welt die Kehrseite hin und wird genau für diese Empathiefähigkeit sicher büßen. Gerade in diesen ruhigen Momenten der Annäherung zwischen Juan und dem kleinen Chiron staunt man, wie es Jenkins gelingt, in der Definition von Männlichkeit Klischees zu umschiffen oder sie spielerisch in Wahrhaftigkeit zu wandeln.

Jenkins findet früh eine schwer zu beschreibende Zärtlichkeit in den Bildern, beim Schwimmen, beim ersten, dem Alter entsprechenden Liebesgeständnis von Kevin „You’re Funny, Man!“, beim Tanzen in der Schule, das ein wenig Geschmack von Freiheit verspricht. Er inszeniert später diesen erwachsenen, hinter seinem Muskelkokon kaum angreifbaren, attraktiven Kerl als Überlebenden, aber nicht als Heilsfigur. Chiron bleibt der sensible Kerl – trotz oder gerade wegen dieser Grillz, des Bizepspanzers und der Zuhälterkiste. Es ist Chiron, der sich weigert, so zu sein, wie es andere von ihm erwarten, der über die große Gabe verfügt zu verzeihen, außerdem über diesen Willen, in einer Welt, die einem tatsächlich viel abverlangt, die alles andere als eine gerechte ist, zu bestehen.

Und wir als Zuschauer haben es eh gewußt, daß seine Mutter irrte, als sie sich im Entschwinden sorgte, daß sein Herz eines Tages so kalt sein könnte, wie es ihres einst war: Es gibt momentan keinen anderen im Kino, der ein größeres Herz haben könnte als Chiron. Deswegen muß Boris Gardiner nochmals anstimmen, weil er in seinem 1974 geschriebenen Lied bereits an den blau schimmernden Jungen gedacht haben muß. Chiron trägt den Sternenglanz hinter der Brust.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.