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Muzika

Vom Jazz-Ding im Polkaland

Zur falschen Zeit am falschen Ort. Und das ein halbes Leben lang. Martin liebt Jazz. Die Virtuosität der freien Improvisation, das Raffinement komplexer Strukturen. Doch was er davon selbst auf seinem Saxophon beherrscht, interessiert zu dieser Zeit – Anfang der 80er Jahre – und in diesem Land, das damals noch CSSR hieß, wirklich kein Schwein.

Leben und Lieben eines Jazz-Man im volkseigenen Polkaland. Musik, Sex und Tristesse im sozialistischen Böhmen. Juraj Nvotas MUZIKA ist eine traurige Komödie, sanft und deftig. Ein kleiner Film mit großem Herzen. Und damit seinem Helden nicht unähnlich. Verträumt und irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt dieser Martin. Das Leben lebt er nicht. Das Leben sucht ihn heim. So schaut Martin verständnislos auf seine hübsche, aber naive Frau und ihr gemeinsames Kind. So läßt er sich von der Schwiegermutter in alltäglicher Regelmäßigkeit sagen, was er in ihren Augen für ein Versager ist und von seinem Schwiegervater diktieren, wann er Sex haben darf und wann nicht. Die Wände sind dünn, und Rücksicht muß sein. Was der Schwager wiederum ganz anders sieht. Der ist mit langer Matte und E-Gitarre zumindest musikalisch angesagter, ansonsten aber auch ein Loser, wie er im Buche steht.

Ein Familienszenario grotesker Tristesse. Eingebettet in einen schmunzelnden Blick zurück auf ein Gesellschaftssystem, das genauso war: grotesk und trist. Dagegen mit Jazz anzuspielen, ist der Kampf gegen Windmühlen. Aber zum Glück für Martin gibt es noch die wilde Anca, dieses grandiose Flittchen unbekümmerter Lebenslust. Und Hruskovic, den Hans Dampf in allen tschechischen Gassen, der Martin in seine Band holt. Zwar nicht zum Jazzspielen, aber um mit Hilfe der großen Musikerkarriere aus der realsozialistischen Ödnis entkommen zu können.

Wie beim Jazz selbst: MUZIKA spielt Episodisches thematisch verknüpft. Mit der Freiheit zu großen Sprüngen, zum Verweilen in leichten, impressionistischen Stimmungen, schwankend zwischen Melancholie und Übermut. Der Hauch Improvisation, der dem Film anhaftet, paßt da gut. Sein bodenständiger Sexappeal auch.

Freilich kann man in MUZIKA auch jener vom Cinéma vérité geprägten Neuen Welle des tschechoslowakischen Aufbruchskinos der 60er Jahre nachspüren. Auch der satirische Einschlag, das Gespür fürs Absurde, weist in die Richtung. Doch klebt MUZIKA nicht an der Tradition, sondern spielt mit ihr. So ist das nämlich, mit dem Jazz-Ding.

Originaltitel: MUZIKA

Slowakei/D 2008, 99 min
Verleih: Box! Film

Genre: Tragikomödie, Musik, Polit

Darsteller: Lubos Kostelny, Tana Pauhofova, Jan Budar

Regie: Juraj Nvota

Kinostart: 19.03.09

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.